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"lass Dich nicht erfassen" - Erinnerungen zum Tag

Es waren die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Es gab zwei deutsche Staaten, die Rote Armee Fraktion beunruhigte mit ihren Taten Teile der alten BRD. Neutronenwaffen, welche die Menschen vernichten sollten, jedoch die Gebäude, Infrastruktur und das Land verschonten, waren in Planung. In Ost und West schritt die atomare Aufrüstung voran. Das Land war scheinbar von Agenten und Spionen durchsetzt. Bei der Musterung zur Bundeswehr wusste man um die Klassenfahrt nach Prag. Der Zweitgutachter meiner Dissertation wurde später als Stasi-Spitzel im Westen enttarnt.

Der Radikalenerlass stellte bis 1985 sicher, dass nur Lehrer werden konnte, der auf der Grundlage der freiheitlich demokratischen Grundordnung stand. Dies hatte zur Folge, dass vor der Einstellung, aber auch zur Überprüfung bestehender Dienstverhältnisse eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt wurde, bzw. Anhörungen erfolgten. (ein interessanter Spielfilm zu diesem Thema: "Der Tote bin ich" https://youtu.be/37WBdgSj6tk, mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle)

Um den Kriegsdienst (Wehrdienst mit der Waffe) zu verweigern, erwarte Mann ein Tribunal, in dem er seine Gesinnung beweisen sollte. Fragen wie: „Sie gehen mit ihrer Freundin durch den Park. Aus dem Gebüsch kommen mehrere dunkle Gestalten auf sie zu, die ihre Freundin vergewaltigen wollen. Sie haben zufällig ein Gewehr dabei. Was machen Sie?“, gehörten zum Repertoire.

Der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg war bereits Geschichte, die Atomkatastrophe in Tschernobyl war Gegenwart. Nebenbei starb der Wald durch „sauren Regen“.

Der im Jahr 1948 geschriebene Roman von George Orwell „1984“, wurde in der Jahreszahl Gegenwart. „Big brother is watching you“, zum Schlagwort dieser Zeit. Die Computertechnik schritt stetig voran. Heutige Möglichkeiten, undenkbar.

In diese Zeit fiel, die für das Jahr 1983 geplante Volkszählung. Da diese statistische Aufnahme der Bevölkerungsdaten durch Besuch und Befragung eines Volkszählers lange zuvor bekannt war, baute sich unter der Bevölkerung Widerstand gegen diese Erfassung auf. Es wurden Bürgerinitiativen gegründet, Aufrufe zur Verweigerung der Zählung verfasst, was unter Strafe verboten war. Man traute dem Staat nicht, hatte Bedenken, was mit seinen Daten geschah, befürchtete den gläsern Bürger. Die Zählung, die für den 27. April 1983 geplant war, wurde zunächst ausgesetzt, dann durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts untersagt.

Im Jahr 1987 wurde ein erneuter Versuch einer Volkszählung unternommen, welche die Beanstandungen durch das Verfassungsgericht berücksichtigte. Der Widerstand hiergegen flammte erneut auf. Die Kritiker sahen sich durch die staatlichen Reaktionen auf Boykottaufrufe bestärkt. Volkszählungskritikern wurde „Rechtsbruch“ unterstellt, der Verfassungsschutz beobachtete Gegner, zahlreiche Strafbefehle wurden gegen Verweigerer erlassen. - Diese wurden später zumeist wieder aufgehoben.

All dies ist erlebte Geschichte. All dies haben die Menschen meiner Generation in ihrer Jugend, ihrem jungen Erwachsenenleben erfahren. „No Future“, war die Botschaft des „Punk“ aus dieser Zeit.

Doch wir sind in der Zukunft angekommen. - Und heute, an diesem Dienstag, dem 16. Juni 2020, kommt nun eine App daher, welche unser Bewegungsprofil, unsere Begegnungen mit anderen Menschen aufzeichnet und kontrolliert. Eine App, die unserer Gesundheit dienen soll. Zu unserer aller Schutz und freiwillig, natürlich.


Ebenso sind wir mittlerweile über Google, Facebook, YouTube und dergleichen so transparent geworden, wie wir es uns in den 80ern in unseren schlimmsten Träumen nicht vorstellen konnten. Der letzte Urlaub, die letzte Klassenfahrt sind heute für Jede(n) im Netz nachvollziehbar. Freiwillig, natürlich!  - As time goes by.


Aufkleber zum Boykott der Volkszählung


16.06.2020


Zusammenfassung:
Die 80er-Jahre in Deutschland waren geprägt von Angst vor der Zukunft und dem Wunsch nach Freiheit. Die Rote Armee Fraktion verunsicherte die Bevölkerung, der Kalte Krieg erreichte seinen Höhepunkt und die Bedrohung durch Atomwaffen war allgegenwärtig. In dieser Atmosphäre fand 1983 die Volkszählung statt, die aufgrund massiver Proteste und verfassungsrechtlicher Bedenken scheiterte.

Parallelen zur heutigen Zeit? Die Corona-App, die unsere Bewegungen und Kontakte aufzeichnet, weckt Erinnerungen an diese Ära der Überwachung. Ist die freiwillige Nutzung der App wirklich so frei, wie es uns versprochen wird? Und wie viel Kontrolle geben wir mit der Nutzung solcher Apps freiwillig ab?

"No Future" war die Botschaft des Punks in den 80ern. Heute, im Jahr 2020, scheint diese Botschaft aktueller denn je. Die Corona-Pandemie hat unsere Freiheiten eingeschränkt und uns die Fragilität unserer Lebensweise vor Augen geführt.


Anmerkung:
Dieser Blogbeitrag wurde ursprünglich auf der Facebook-Seite „Gern geschehen, Melsungen hilft“, die zur Unterstützung der Bevölkerung während der Corona-Pandemie geschaffen wurde, von mir veröffentlicht.


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