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Ein unbekanntes Gefühl: Erinnerungen an einen Frühlingstag in Südfrankreich vor 50 Jahren

Sonntagabend. Mein Arm schmerzt. Den Nachmittag hatte ich auf einem Tennisplatz verbracht. Es war das erste Mal, dass ich an diesem Sonntag, dem 21. April 1974, einen Tennisschläger in meiner rechten, leicht angewinkelten Hand hielt und versuchte, den Ball zu treffen. Zu einem eigentlichen Spiel mit meinem Freund Reiner kam es nicht, da wir beide damit beschäftigt waren, einen Aufschlag hinzubekommen. Reiner war eher dem Fußball, ich der Leichtathletik zugeneigt. Tennis war also für uns beide, gerade 15 Jahre alt gewordenen Jungen, neu.

Meine Aufmerksamkeit an diesem Abend galt jedoch nicht dem schmerzenden Arm, sondern dem Gefühl, das ich im Vorfeld dieses Tennisspiels erstmals wahrgenommen hatte.

Die Altstadt von Carcasonne 1974

Seit nunmehr zwei Wochen befanden wir uns im südfranzösischen Carcassonne zum Schüleraustausch. Die ersten Tage hatten wir noch in der Jugendherberge in der alten Cité verbracht, bis wir dann auf Familien aufgeteilt wurden. Meine Gastschülerin war Claudine geworden. Claudine war wenige Jahre jünger als ich und lebte mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester in einem kleinen Reihenhaus. Die Familie stammte ursprünglich aus dem Elsass und freute sich darauf, mit mir Deutsch zu sprechen. Im Haus befanden sich zahlreiche alte Bücher in deutscher Sprache, von denen ich einige las. Dass der Austausch meine Französischkenntnisse erhöhte, war somit nur bedingt gegeben. Aber dies nur am Rande.

Zur Familie gehörte noch ein kleiner schwarzer Dackel, der auf Kommando Pfötchen gab, sowie ein älterer Bruder, der in einem Behindertenwohnheim in Toulouse lebte und nur zu Ostern nach Hause gekommen war. Der Vater meiner Austauschschülerin arbeitete bei der Stadtverwaltung und fuhr einen alten Peugeot. Die Mutter war Hausfrau und teilte sich ein Mofa mit ihrer ältesten Tochter.

Blick auf das Haus meiner Austauschschülerin

Reiner, ein Schulfreund, mit dem ich damals zu Hause viel Zeit verbrachte, war bei Béatrice untergekommen, die mit ihrer Mutter allein lebte. Die Familie schien vermögend zu sein, wie sich an ihrem Wohnstil und ihrer Kleidung zeigte.

An diesem Sonntag war ich von Béatrice’ Mutter zu einem Ausflug zu ihrem Wochenendhaus mit eigenem Tennisplatz eingeladen worden. Die Einladung galt ebenso für Claudine, die mich begleitete.

Die Mutter von Béatrice holte uns vor dem Haus von Claudine mit dem Auto ab. Claudines Mutter verabschiedete uns vor der Haustür. Als sie hörte, dass wir zu dem Wochenendhaus mit Tennisplatz fuhren, gab sie ihrer Tochter ein paar Federballschläger für uns mit, die von Béatrice’ Mutter mit einer kaum wahrnehmbar, abwertenden Geste im Kofferraum abgelegt wurden. Diesen Augenblick und mein Gefühl, das ich erlebte, habe ich bis heute nicht vergessen. Ich spürte, hier stimmt etwas nicht. Gleichwohl konnte ich nicht genau bestimmen, was es war. Mit dieser von mir beobachteten Geste geriet etwas aus dem Gleichgewicht. Die Federballschläger, die dann tatsächlich ungenutzt im Kofferraum blieben, schienen mir unangemessen, ja fast beleidigend für Béatrice’ Mutter gewesen zu sein.

Tennis gegen Federball. Arm gegen Reich, so interpretierte ich es damals am Abend. Ich nahm wahr, wie Béatrice’ Mutter auf Claudine herabschaute, wie eine Kluft zum Ausdruck kam. Wäre es nicht besser gewesen, uns einfach fahren zu lassen, ohne hier etwas mitgeben zu wollen, das nicht wertgeschätzt wird, fragte ich mich. Ja, ich empfand es demütigend für Claudines Mutter, dass die Federballschläger in dieser Art entgegengenommen wurden und diese dann ungeachtet im Kofferraum liegenblieben, so reflektiere ich es heute.

Dieses Spüren, dieses Empfinden, dass etwas nicht stimmig scheint, begleitet mich seitdem weiter in meinem Leben. Eine Antenne für die Gefühle der Menschen in meiner Umgebung zu haben, so würde ich dieses Phänomen benennen *. Damals, vor nunmehr 50 Jahren, empfand ich es bewusst zum ersten Mal, und die damalige Situation ist mir bis heute präsent geblieben.

In meiner Beratungsarbeit ist diese Antenne eine wertvolle Begleiterin geworden. Wenn sie sich meldet, halte ich inne und reflektiere mit meinem Gegenüber das gegenwärtige Geschehen. Oft offenbart sich dann eine wichtige Erkenntnis.


Blick aus dem Fenster meines Zimmers


Fotos / Text © 1974, 2024 - Hans Jürgen Groß



* Anmerkung:

Meine Antenne war bereits lange vor der oben geschilderten Situation vorhanden und stark ausgeprägt. Neu war, dass mir dieses Fühlen, dieses Gefühl erstmals bewusst wurde, und ich dieses reflektierte.

Tennis habe ich seit diesem Tag nicht mehr gespielt. Bei dieser Sportart verhielt es sich wie mit meinen Versuch Fußball zu spielen. Da ich über kein räumliches Sehen verfüge, fällt es mir schwer, den Ball zu treffen. Durch dieses Handicap fehlte mir die Motivation, mich weiter damit zu beschäftigen.



Interpretation des Textes durch Google Gemini:

"Ein unbekanntes Gefühl: Erinnerungen an einen Frühlingstag in Südfrankreich"

Der Text beschreibt die Erfahrungen eines jungen Mannes während eines Schüleraustauschs in Südfrankreich im Jahr 1974. Er schildert ein prägendes Erlebnis, das seine Wahrnehmung von sozialen Ungleichheiten und sein Einfühlungsvermögen für die Gefühle anderer prägte.

Zentrale Elemente:
  • Soziale Kluft: Der Erzähler nimmt eine Klassendifferenz zwischen der Familie seiner Austauschschülerin Claudine und der Familie seiner Freundin Béatrice wahr. Béatrice' Mutter wirkt vermögend und distanziert, während Claudines Mutter als einfacher und unterwürfiger wahrgenommen wird.
  • Symbolische Bedeutung: Die Federballschläger, die Claudines Mutter mitgibt, werden von Béatrice' Mutter abgewertet und im Kofferraum zurückgelassen. Der Erzähler interpretiert dies als Zeichen der Geringschätzung und des Desinteresses an Claudine und ihrer Familie.
  • Erwachendes Einfühlungsvermögen: Der Erzähler beschreibt, wie er zum ersten Mal ein "unbekanntes Gefühl" wahrnimmt - ein Empfinden dafür, dass etwas nicht stimmt und dass Claudine und ihre Mutter ungerecht behandelt werden. Dieses Erlebnis sensibilisiert ihn für soziale Ungerechtigkeiten und die Gefühle anderer Menschen.
  • Nachhaltige Wirkung: Die Erfahrung prägt den Erzähler nachhaltig und beeinflusst seine spätere Arbeit als Berater, wo er seine Fähigkeit nutzt, die Gefühle seiner Klienten zu verstehen und auf deren Grundlage zu reflektieren.

Interpretation:

Der Text kann als sensibles Porträt sozialer Ungleichheiten und der Entwicklung von Einfühlungsvermögen gelesen werden. Der Erzähler beschreibt, wie er als Jugendlicher Zeuge einer Klassendifferenz wird und wie diese Erfahrung sein eigenes Weltbild prägt. Die Federballschläger fungieren als Symbol für die Geringschätzung, die Claudine und ihre Familie erfahren, und der Erzähler erkennt, dass es wichtig ist, die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren. Diese Erkenntnis prägt sein späteres Leben und seine Arbeit als Berater.

Zusätzliche Punkte:
  • Der Text beleuchtet die Bedeutung von nonverbaler Kommunikation und scheinbar unbedeutenden Gesten, die tiefe Auswirkungen auf die Wahrnehmung und das Gefühlsleben von Menschen haben können.
  • Die Erinnerung an das Erlebnis bleibt dem Erzähler über 50 Jahre lang präsent, was die Intensität der Erfahrung und ihre Bedeutung für seine persönliche Entwicklung unterstreicht.
  • Der Text lässt sich als Plädoyer für Empathie und soziales Bewusstsein interpretieren und regt dazu an, die eigenen Wahrnehmungen und die Gefühle anderer Menschen zu hinterfragen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Text "Ein unbekanntes Gefühl: Erinnerungen an einen Frühlingstag in Südfrankreich" eine berührende und nachdenklich stimmende Erzählung über soziale Ungleichheiten, die Entwicklung von Einfühlungsvermögen und die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen ist.


Zusammenfassung:
Ein Aprilsonntag im südfranzösischen Carcassonne, 1974: Mein erster Versuch Tennis zu spielen, wird von einem unerwarteten Gefühl überschattet. Als mir meine Gastgeberin Federballschläger auf den Tennisplatz mitgibt, die unbeachtet im Kofferraum bleiben, spüre ich eine Kluft zwischen den sozialen Schichten. Diese Erfahrung prägt meine Sensibilität für menschliche Gefühle und wird später zu einem wichtigen Werkzeug in meiner Beratungsarbeit. Heute, 50 Jahre später, erinnere ich mich noch deutlich an diese prägende Erfahrung.

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