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Auf der Suche nach dem Unbekannten: Erinnerungen und das erfahren der Welt prägen ein Leben.

Vor 50 Jahren führte mich ein Schüleraustausch in das ferne Südfrankreich. Es waren die prägenden Wochen meines jungen Lebens. Dem Gefühl der Sicherheit gebenden Enge des Elternhauses zu entfliehen, umhüllte mich wie ein unsichtbarer Mantel. Ein Mantel, der mir zwar gut stand, ihn zu tragen, mir jedoch fremd war.

Vier Wochen verbrachte ich im südfranzösischen Carcassonne. Ein Ort voller Historie, in dessen alten Mauern gleichzeitig eine neue Zeit für mich begann.

Seitdem bin ich auf der Suche, dieses Gefühl wiederzufinden, diesen Aufbruch neu zu spüren. Wie ein Heiligtum trage ich die Erinnerung an diese nunmehr ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Ereignisse mit mir herum.

Mein Aufenthalt in der psychosomatischen Klinik vor genau 10 Jahren (https://t1p.de/fruehling2014hatte noch einmal ein ähnliches Erleben gebracht. Doch sind diese Erinnerungen nicht so prägend, nachhaltig in mir eingebrannt wie die Ereignisse meines frühen Lebens im Frühjahr 1974.

Ein Ziel meines Klinikaufenthaltes war, fortan mindestens ein- bis zweimal im Jahr allein aufzubrechen, um einen neuen Ort zu erkunden und mir vertraut zu machen. Dieser Prozess: neues Gebiet zu betreten, sich mit dem Ort langsam vertraut zu machen, noch hilflos und orientierungslos, durch die unbekannten Straßen zu streifen. Mit jedem Gang ein Stück mehr Sicherheit zu finden, in zentrischen Kreisen den Radius des Bekannten immer weiterzuschlagen. Um dann in dem mittlerweile Vertrauten noch etwas Unbekanntes zu entdecken.

Ganz in meiner Zeit, ohne Verpflichtung, Erwartungen. Ob nun bereits um 20 Uhr schlafend, die Eindrücke des Neuen verarbeitend oder aufnahmefähig und neugierig in die Nacht hinausgehend.

Am Morgen mit der Gewissheit erwachen, nicht zu wissen, was der Tag zu bieten hat. Darauf vertrauend, dass der Weg des Tages, der vor mir liegt, auch mein ganz eigener Weg sein wird.

Dem inneren Dialog lauschend, den Stimmen, die mir doch so nahe sind und häufig zum Schweigen verurteilt werden. Treiben lassen, dem Unbekannten staunend begegnend, aufnehmend, voller Überraschung darüber, was sich festsetzen möchte, was unbeachtet am Wegesrand liegen bleibt.



Jetzt bin ich wieder unterwegs. Bad Soden-Salmünster, ein kleiner Ort im südlichen Osthessen. Knapp zwei Bahnstunden von zu Hause entfernt. Bisher unbekannt, und auf der inneren Landkarte nicht verortet. Heute, den Zenit des Abenteuers bereits überschritten, früh erwachend reflektieren.

Die Ruhe des Ortes des Schlafes erkennen. Die Weite der von Hügeln umgebenden Felder, von rauschendem Wasser, Flüssen, Bächen durchdrungen.

Kur- und Badeplätze, Heilquellen, die nicht ansprechen, sich nicht festsetzen möchten. Der kleine Ort Salmünster, der bereits von Weitem mit seinem alten Kloster, der Kirche sichtbar ist, anziehend. Reizvoll, durch die alten Gassen zu laufen. Immer wieder und wieder. Die Spuren der Franziskanermönche zu suchen, die vor 20 Jahren nach fast vier Jahrhunderten diesen Ort verließen.

Und dann die Geschichte aus dem 30-jährigen Krieg von den Frauen, die den Ort retteten. Fragen nach dem Erleben dieser unbekannten Menschen. 30 Jahre Krieg. Worin haben diese ihre Sicherheit, ihre Lebensbasis gezogen? Wäre ich selbst rekrutiert worden? Verheizt, als Vieh der nächsten Schlacht geopfert. Oder gar brandschatzend, Blut-berauscht zum Monster geworden? Wie lebten die Frauen zu der damaligen Zeit? Wie viel Gewalt, Ängste, Traumata haben sie erfahren? Wie oft wurde ihre Hoffnung durch den Tod geraubt? Wie lebten die Frauen zu der damaligen Zeit? Wie viel Gewalt, Ängste und Traumata haben sie erfahren? Wie oft wurde ihre Hoffnung durch den Tod geraubt? Wie häufig wurden sie benutzt, einem Krug Wasser gleich, um die Gier der entmenschlichten Männer zu stillen? Zerbrochene Hoffnung auf Schutz und Liebe der Anvertrauten.

Ähnlich dem bis heute gebliebenen Ruhm um den Mut und die List der Frauen von Salmünster, die Legende der „Dame Carcas“ gehört vor 50 Jahren.

Gedanken im Rückblick, am überschrittenen Zenit. Die Geschichte von den Salmünster Frauen und auch von der Dame Carcas werde ich euch an anderer Stelle berichten.

Nun wartet ein neuer Tag auf uns, neue Begegnungen, und ein Leben, das uns entgegenläuft.

© 2024 - Hans Jürgen Groß



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