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von Kindern und Schafen

Florian hatte schon immer das Gefühl, dass er anders war als die anderen Kinder in seiner Klasse. Er war schüchtern, nervös und unsicher, und er fühlte sich oft unwohl in sozialen Situationen. Aber er war auch sehr neugierig und interessiert an vielen Dingen. Er liebte es, in Büchern zu lesen und kreative Herausforderungen zu meistern. In der Schule fiel es ihm schwer Anschluss zu finden. Er wurde von seinen Mitschülern ausgegrenzt, gehänselt und geschlagen.

Als die erste Klassenfahrt anstand, war Florian aufgeregt. Er hatte noch nie zuvor eine solche Reise gemacht. Er fürchtete sich vor dem Unbekannten, freute sich jedoch auch darauf, neue Orte kennenzulernen. Aber als seine Eltern ankündigten, dass sie ihn in der Jugendherberge besuchen würden, wurde er sehr nervös. Wie würden die anderen Kinder darauf reagieren? Würde er weiteren Spott, für das Verhalten seiner Eltern ertragen müssen. Auf der anderen Seite fühlte er sich seinen Eltern gegenüber verpflichtet, dies zu ertragen. Sie liebten ihn ja, und er liebte sie.

Als seine Eltern schließlich ankamen, fühlte sich Florian unwohl. Er spürte, dass er nicht die Freiheit hatte, sich zu entfalten und dass dieser Besuch ihn wieder in die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler brachte. Dabei wollte er doch einfach nur dazugehören und so wie der Anderen sein. Er hatte das Gefühl, dass seine Eltern ihn in eine Schachtel gesteckt hatten und ihn nicht aus ihr herauslassen würden.

Jahre später, als Florian erwachsen war, arbeitete er mit einem Therapeuten, um seine Kindheitserfahrungen zu verarbeiten. Er erkannte, dass er damals Raum und Freiheit gebraucht hatte, um sich als Individuum zu entwickeln und seine eigenen Interessen und Fähigkeiten zu entdecken. Er hatte Grenzen gebraucht, aber nicht so enge, dass er sich eingeschränkt und unterdrückt fühlte.

Florian lernte, dass er nicht allein war und dass viele andere Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Er begann, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben, wie er war, und er begann, seinen eigenen Weg im Leben zu finden. Er erkannte, dass er frei atmen und seine Umgebung erkunden konnte, ohne dass ihm jemand sagte, was er tun oder denken sollte.

Florians Erfahrung zeigt, dass Überbehütung negative Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben kann. Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern Raum und Freiheit geben, um sich als Individuen zu entfalten und ihre eigenen Fähigkeiten und Interessen zu entdecken. Schutz und Hilfe sind wichtig, aber es ist ebenso wichtig, dass Kinder lernen, selbstständig zu werden und ihr Leben selbst zu gestalten. Eltern sollten darauf achten, dass sie nicht zu überfürsorglich sind und ihren Kindern die Möglichkeit geben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen und aus Fehlern zu lernen. Letztendlich führt dies zu einer gesunden und selbstbewussten Entwicklung.

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Der Duden bietet eine Vielzahl von Synonymen für das Wort „behüten“, wie z. B. "beschützen, Schutz gewähren, verteidigen, bewahren, beobachten und helfen“. Ähnliche Worte für „hüten“ sind „beaufsichtigen und schonen“. Diese Worte vermitteln das Bild eines Schäfers, der über eine Herde von Schafen wacht, um Schaden von ihnen abzuwenden.

Allerdings zeigt dieses Bild auch, dass es sich bei der Person, die behütet wird, um eine schutzlose, hilflose und verletzliche Person handelt, die auf die Hilfe des Hüters angewiesen ist, um zu überleben. In dieser Beziehung befindet sich die behütete Person in einer abhängigen und komplementären Position.

Dies trifft insbesondere auf Säuglinge und Kleinkinder zu, die zum Überleben die Hilfe anderer benötigen. Wenn der Schutz jedoch nicht der Entwicklung des Kindes angepasst wird, sondern auf einem umfassenderen Niveau verbleibt, kann dies zu Überbehütung führen. In diesem Fall werden dem Kind Möglichkeiten genommen, sich altersgerecht zu entwickeln und Selbstvertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu finden.

Die Überbehütung kann sich in ständigen Ermahnungen wie „pass auf“ oder übermäßiger Nähe und Liebe ausdrücken, die das Kind an die Bezugsperson binden und ihm keine Freiräume lassen. Dies kann dazu führen, dass das Kind sich nicht weiterentwickelt, nicht selbstständig wird und sich nicht von seinen Eltern löst. Im späteren Lebensalter können Bindungsprobleme hieraus entstehen.



Dieses Bild zeigt, dass die Geschichte von Florian autobiografische Bezüge aufweist. Während meiner ersten vierzehntägigen Klassenfahrt nach Soltau, in der Lüneburger Heide, wurde ich (erster von rechts) von meinen Eltern und meiner Großmutter besucht.

Sie wurden auf ihrer Reise von der Mutter eines Klassenkameraden begleitet, der bereits als Kind an schwerem Diabetes erkrankt war und kurz vor seinem 30. Geburtstag daran verstarb.

In einem kleinen Buch habe ich mich Jahrzehnte später mit dem Thema Gewalt in der Schule, als Folge einer Überbehütung auseinandergesetzt: 



Bullying (Gewalt in der Schule) Begriff, Ausmaß, Folgen – unter besonderer Berücksichtigung des Opfermerkmals „überbehütetes Kind“ von Hans Jürgen Groß 


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