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Weihnachten neu erleben: Wenn die Bescherung selbst zum Geschenk wird.


Heiligabend.
Der Baum steht. Die Lichter brennen. Die Geschenke liegen darunter: schlafende Versprechen, ordentlich eingewickelt, still, voller Möglichkeiten.

Und dann geschieht oft etwas Merkwürdiges.

Die Bescherung beginnt – und ist schneller vorbei, als man „Frohe Weihnachten“ sagen kann. Papier raschelt, Schleifen fliegen, jemand sagt „Oh, danke“, jemand anderes greift schon nach dem nächsten Geschenk. Nach zwanzig Minuten ist alles ausgepackt. Der Boden sieht aus wie nach einem leichten Schneesturm aus Geschenkpapier, und alle sitzen da. Ein wenig satt. Ein wenig müde. Etwas ratlos.

Als hätte man den wichtigsten Teil des Abends hastig erledigt, um endlich zum gemütlichen Teil überzugehen.

Dabei war das doch eigentlich der gemütliche Teil.

Dieses Unbehagen begleitet mich schon lange. Dieses Gefühl, dass wir uns zwar beschenken, uns dabei aber manchmal verlieren. Dass wir nebeneinandersitzen, ohne einander wirklich zu begegnen.

Also habe ich begonnen, die Bescherung zu verändern.

Von der Weihnachtsshow zum neuen Versuch

Vor Jahren tauchte ich in die Rolle eines Moderators, eines Showmasters ein. Nicht offiziell bestimmt, eher organisch gewachsen. Ich hob Geschenke hoch, schüttelte sie, horchte daran, hielt sie der Runde hin wie ein Quizmaster.

„Was könnte darin sein?“
„Für wen ist das?“
„Hinter dem Baum!“, rief jemand, um das nächste Geschenk zu bestimmen, das ich verteilen sollte – und dieser Satz blieb. Er gehört inzwischen fest zur Familie, wie andere Familien ihre geflügelten Worte haben.

Die Geschenke wurden langsamer verteilt.
Es wurde geraten, gelacht, kommentiert. Die Bescherung bekam Dramaturgie – und Zeit.

Viele Jahre lang hat das gut getragen.
Doch Rituale, die lebendig bleiben wollen, dürfen sich verändern.

Die Eltern fehlen inzwischen.
Die Kinder sind älter geworden.
Der Kreis ist kleiner, ruhiger – und gleichzeitig offener.

Also entstand eine neue Idee. Die des Bescherungsspiels. 

Wie es laufen könnte

Vielleicht beginnt es ganz einfach.

Jemand steht auf, nimmt ein Geschenk, hält es hoch und sagt zu einer anderen Person im Kreis: „Das hier ist für dich.“

Der Beschenkte greift in eine Schale, zieht ein Los.
Kurzes Schweigen. – Dann ein Stirnrunzeln.

„Summ ein Weihnachtslied, bis jemand es erkennt“, steht auf dem Zettel. 

Ein erster Versuch. Sehr vorsichtig.
„Hmmmmm-hmmm-hmmm…“

„Stille Nacht?“
„Nein.“
„O Tannenbaum?“
Kopfschütteln.
„Last Christmas?“

Erleichterung. Gelächter.
Das Geschenk wird übergeben, ausgepackt. Alle schauen – ja, es ist ein Pullover. Aber der Abend ist längst woanders.

Später zieht jemand ein anderes Los: „Welches war dein erstes Handy?“

Plötzlich erzählt jemand von einem roten Nokia, unzerstörbar, mit Snake. Jemand anderes vom Walkman davor. Eine dritte Person sagt leise, dass es bei ihr gar kein eigenes Gerät gab – nur das Radio in der Küche, sonntags, nach dem Mittagessen.

Das Geschenk liegt noch ungeöffnet auf dem Schoß.
Niemand drängt. Fünf Minuten lang ist etwas anderes wichtiger.

Dann ein Aktivitätslos. „Tanze zehn Sekunden wie ein Rentier.“

Kurze Verhandlungen mit dem Joker.
„Nein, diesmal nicht.“
Und dann steht jemand auf, von dem es niemand erwartet hätte. Ein paar steife Hüpfer, etwas Armgewedel, ein Geräusch, das man nicht einordnen kann. Die Kinder liegen unter dem Tisch vor Lachen. Jemand macht ein Foto, das nie gelöscht werden darf.

Das Geschenk danach ist nebensächlich. Was bleibt, ist das Bild.

Vielleicht gibt es auch diesen Moment:
Eine Zukunftsfrage.

„Was soll im kommenden Jahr unbedingt bleiben?“

Es wird stiller.
Jemand sagt: „Diese Abende.“
Ein anderer: „Dass wir uns noch sehen.“

Und plötzlich ist da etwas, das sonst keinen Platz hat.

Ein offenes Ende

Noch weiß ich nicht, ob dieses Spiel tatsächlich sein Ziel erreicht – Gemeinschaft.
Denn es wurde noch nie gespielt.

Es ist eine Idee, eine Vision, für die schon geworben wird, bevor sie stattfindet.
Und wenn es misslingt, dann ist das kein Scheitern. Dann darf im kommenden Jahr ganz selbstverständlich die bewährte Weihnachtsshow zurückkehren – mit Moderator, Rätselraten oder einfach Bescherung mit Papier auf dem Boden.

Denn Gemeinschaft entsteht nicht aus perfekten Ritualen.
Sondern aus Menschen, die bereit sind, gemeinsam etwas zu wagen.

Und manchmal auch, gemeinsam darüber zu lachen, wenn es anders kommt als gedacht.




Anhang

Das Bescherungsspiel – eine Einladung zum Ausprobieren

(Ein Versuch für Heiligabend – mit offenem Ausgang)

Dieses Bescherungsspiel ist eine Einladung.
Keine bewährte Methode, kein Versprechen.
Ob es Gemeinschaft entstehen lässt, wissen wir noch nicht – denn es wird erstmals gespielt.

Wenn es gelingt, wunderbar.
Wenn nicht, darf im kommenden Jahr ganz selbstverständlich eine Neuauflage der bewährten Weihnachtsshow folgen.


Idee

Die Bescherung wird als gemeinsames Spiel gestaltet.
Jedes Geschenk wird erst nach einer kleinen Aufgabe oder Frage überreicht.

So entsteht Zeit.
Raum für Lachen, Erinnerungen und Begegnung.
Ohne Zwang. Ohne Bloßstellen.


Vorbereitung

  • Alle Geschenke liegen wie gewohnt bereit.

  • Eine Schale (oder ein Hut) enthält gemischte Lose aus drei Kategorien:

    • Vergangenheit – Erinnerungen & Gesprächsimpulse

    • Aktivität – kleine, humorvolle Aufgaben

    • Zukunft – Wünsche & Gedanken

  • Jede Person erhält einen Joker für den ganzen Abend.


Ablauf

  1. Reihum geht jeweils eine Person in die Mitte.

  2. Sie nimmt eines ihrer Geschenke, zeigt es der Runde und nennt den Empfänger.

  3. Der Beschenkte zieht ein Los aus der Schale.

  4. Die Aufgabe oder Frage wird erfüllt
    – oder einmalig mit dem Joker an eine andere Person weitergegeben.

  5. Erst danach wird das Geschenk ausgepackt – alle schauen zu.

  6. Danach geht es im Uhrzeigersinn weiter.


Der Joker

  • Jede Person hat genau einen Joker für den gesamten Abend.

  • Mit dem Joker darf eine Aufgabe an jemand anderen abgegeben werden.

  • Der Joker ist freiwillig – allein sein Vorhandensein darf entspannen.


Was gilt als „erfüllt“?

  • Der Schenker entscheidet großzügig, ob eine Aufgabe erfüllt ist.

  • Humor zählt immer.

  • Niemand muss etwas tun, das sich nicht stimmig anfühlt.


Wichtige Hinweise

  • Niemand soll sich bloßgestellt oder gedrängt fühlen.

  • Pausen und Gespräche dürfen entstehen – sie gehören zum Spiel.

  • Das gemeinsame Auspacken ist Teil des Rituals.

  • Ob das Spiel Gemeinschaft schafft, wird sich zeigen.
    Es ist ein Versuch.


Offenes Ende

Dieses Spiel erhebt keinen Anspruch auf Gelingen.
Es ist ein Angebot, gemeinsam etwas Neues zu wagen.

Und falls es nicht trägt:
Dann wissen wir es –
und im nächsten Jahr darf die Weihnachtsshow wieder ihren großen Auftritt haben.

Rituale dürfen sich verändern.
Und sie dürfen auch wieder verschwinden.


© 2025 – Hans Jürgen Groß


Vertiefendes Bonusmaterial

Videozusammenfassung



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Textanalyse

Dies ist mehr als eine Spielanleitung. Es ist ein Essay über Gemeinschaft, Veränderung und die Courage zur Unvollkommenheit. Groß schreibt nicht als Experte, sondern als Suchender. Seine Stärke liegt in der Beobachtungsgabe für familiäre Dynamiken und in der Fähigkeit, daraus praktische Experimente abzuleiten.

Der Text ist eine Einladung – nicht nur zum Bescherungsspiel, sondern zum Nachdenken über alle Rituale, die wir mechanisch vollziehen, ohne zu fragen, ob sie noch tragen.

https://t1p.de/Bescherungsspiel-Analyse

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vertiefende Betrachtung
Podcast NotebookLM








Zusammenfassung

In diesem Blogbeitrag lädt Hans Jürgen Groß dazu ein, Weihnachten neu zu erleben – jenseits routinierter Abläufe und hastiger Bescherung. Ausgehend von persönlichen Beobachtungen beschreibt er, wie das traditionelle Auspacken von Geschenken oft schneller vorbei ist, als echte Begegnung entstehen kann.

Der Text erzählt von der Entwicklung eines familiären Rituals: von der spielerischen „Weihnachtsshow“ mit Moderator bis hin zu einem neuen, noch unerprobten Bescherungsspiel. Dieses Spiel verbindet kleine Aufgaben, Erinnerungsfragen und Zukunftsimpulse mit der Geschenkübergabe und verlangsamt so bewusst den Abend.

Mit leisen humorvollen Szenen, melancholischer Wärme und menschlicher Tiefe zeigt der Beitrag, wie aus der Bescherung selbst ein Geschenk werden kann – ein Raum für Lachen, Geschichten und Gemeinschaft. Zugleich bleibt der Text offen: Ob das Spiel tatsächlich Nähe schafft, ist noch ungewiss. Es ist ein Versuch, ein Wagnis, das scheitern darf.

Der angefügte Anhang beschreibt das Bescherungsspiel klar und übersichtlich als Einladung zum Nachmachen. Der Beitrag richtet sich an Menschen, die Weihnachten bewusster, entschleunigter und persönlicher gestalten möchten – ohne Perfektionsanspruch, ohne Kitsch, aber mit Mut zum gemeinsamen Ausprobieren.


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