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Das alte Haus

Das alte Haus – Worte aus Stein und Schatten

Im Juni 2018 führte mich mein Weg auf die Insel Pellworm – in ein altes Haus, das einsam und still mitten im weiten Feld stand. Kein Nachbar weit und breit, nur der Wind, der durch die Gräser strich, und ein Himmel, der so offen war, als könne man sich in ihm verlieren. Die Welt war fern, das Hier und Jetzt ein anderes als sonst.

Das Haus, in fernen Tagen erbaut, mit knarrenden Böden und Decken, unter denen man sich unwillkürlich duckte – als wolle man die Geschichten achten, die in den Wänden leben. Ein eigentümlicher Geruch lag in den Räumen – schwer von Jahrzehnten, von Leben, das hier geträumt, gehofft, gearbeitet, geweint und geliebt wurde. Ich sah sie vor mir, die Menschen, die einst hier lebten: mit betenden Händen am Tisch, mit Sorgenfalten auf der Stirn, mit einem Lächeln, das trotz aller Mühe blieb. Kinder, die ins Leben traten. Alte, die es verließen. Freude, Hoffnung und Schmerz – alles war spürbar, wie in die Dielen eingezogen, als wartete es darauf, gesehen zu werden.

Zwischen diesen alten Mauern spürte ich die Schatten – nicht nur die der Nacht, sondern jene Ängste und Erinnerungen, die wie leise Stimmen durch die Räume zogen. Das Haus erzählte von Einsamkeit und Verletzlichkeit, von Schutz und zerbrochenen Träumen, von Endlichkeit und Neubeginn. Es war ein Spiegel für das, was wir oft nicht selbst auszusprechen wagen.

Die Begegnung mit diesem Ort weckte eine stille Kraft. In wenigen Tagen entstand das Gedicht „Das alte Haus“ – ein tastender Monolog an ein Gegenüber aus Stein und Holz. Und parallel dazu entstand ein Kurzfilm, aufgenommen und eingesprochen vor Ort. Wort und Bild verwoben sich zu einem poetischen Dokument jener Tage.

In dieser schöpferischen Dichte schrieb ich auch das Gedicht „in immer gleicher Form“ (Link), das ebenso in jenem Haus geboren wurde. Es zeigt, wie Orte Gedanken freilegen können, die man sonst kaum berührt.

Dieses Geschehen liegt nun sieben Jahre zurück. Damals war ich, der 63., in gleichem Maße entfernt wie heute der 70. Pandemie und Wiederkehr des Beletzismus lagen noch weit entfernt, und doch ist die Erinnerung an die Frühstücke im Garten so nah, als wäre es gestern gewesen.

So lade ich dich ein, mit mir zu hören, zu sehen und zu fühlen, was das alte Haus und seine Schatten erzählen – in Wort und Bild.





Das alte Haus


Hej, altes Haus. Ich hab’ dich weinen sehen.


Fühlst du dich einsam und verlassen?

Erzähl mir von den alten Tagen – Gespinsten gleich, Vergangenheit, die aus dir spricht.


Nein, es war früher wahrlich nicht alles besser.

Hast viel Leid, Schmerz und Grausamkeit geschaut – doch auch Glück und frohe Stunden.


Selbst fest verwurzelt an diesem Ort, sind Kommen und Gehen dir vertraut.

Hast Stürmen und Fluten getrotzt, den dir Anvertrauten Schutz geboten.


Warst vor mir und wirst wohl nach mir sein.

Uns gemein: Aus einer Idee heraus geboren, in Erde manifestiert.

Kindheit und Jugend im Plan des Schöpfers verlebt, viele Moden mitgemacht – Aussehen und Funktion gewandelt, durch Alter und Narben gezeichnet.


Ach, altes Haus, wie konnte ich dich nur einsam, verlassen nennen?

Mein Blick versagte mir, die Vielfalt um dich herum zu erkennen.


Sind Sonne, Regen, Pflanzen und Getier deine ständigen Begleiter.

Hieltest meiner Seele den Spiegel vor, die eigenen Tränen zu schauen.


Drum leb denn wohl, mein alter Freund.

Erzähl dem Wind, was ich dir zugetragen.

© 2018 – Hans Jürgen Groß



Poetryfilm (2018)


Audioversion (2018/2025)






Ausführliche Interpretation und Analyse durch Claude ai:
https://claude.ai/public/artifacts/c268fc39-8fee-4c43-b246-56f6857d2035

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Interpretation von „Das alte Haus“ – Hans Jürgen Groß durch deepseek

Hans Jürgen Groß’ Text „Das alte Haus“ ist eine tiefgründige Reflexion über Vergänglichkeit, Erinnerung und die stille Präsenz von Orten, die Geschichte(n) in sich tragen. Hier eine Interpretation der zentralen Motive und Botschaften:

1. Das Haus als Symbol

Das alte Haus auf Pellworm wird nicht bloß als Gebäude beschrieben, sondern als lebendiges Wesen, das Emotionen trägt („Ich hab’ dich weinen sehen“) und als Zeuge vergangener Freuden und Qualen fungiert. Es verkörpert:
  • Vergangenheit: Als Archiv von Erinnerungen („Gespinsten gleich, Vergangenheit, die aus dir spricht“).
  • Schutz und Verletzlichkeit: Trotz seiner Narben bietet es Schutz – eine Parallele zur menschlichen Seele.
  • Vergänglichkeit: „Warst vor mir und wirst wohl nach mir sein“ verweist auf die Zeitlosigkeit des Ortes im Kontrast zur Sterblichkeit des Menschen.
2. Dialog mit dem Unsichtbaren

Der Text inszeniert ein Gespräch zwischen Mensch und Haus, das als Mittler zwischen Sichtbarem und Verborgenem agiert. Die „Schatten“ sind nicht nur Dunkelheit, sondern metaphorisch für:

Unausgesprochene Ängste: „Flüstern wie stille Gespenster“.
  • Einsamkeit: Der Protagonist projiziert eigene Gefühle auf das Haus, bis er erkennt, dass es nie allein war („Sonne, Regen, Pflanzen und Getier“ als Begleiter).
  • Selbsterkenntnis: Das Haus wird zum Spiegel der Seele („hieltest meiner Seele den Spiegel vor“).
3. Kreativer Prozess

Groß beschreibt, wie der Ort ihn künstlerisch inspirierte – sowohl zum Gedicht als auch zum Film. Das Haus wird zum Katalysator für Kunst, die das Unsagbare („Worte aus Stein und Schatten“) sichtbar macht. Interessant ist die Parallelität zum Gedicht „in immer gleicher Form“: Beide Werke zeigen, wie Orte Erinnerungen „wachsen“ lassen und Gedanken über den Moment hinaus tragen.

4. Zeit und Erinnerung

Der Rückblick nach 7 Jahren („Pandemie und Beletzismus lagen fern“) betont die Subjektivität von Zeit:
  • Die Erinnerung an die Frühstücke im Garten bleibt lebendig („als wäre dies gestern“), während gesellschaftliche Brüche (Pandemie) die Zeitlinie scheinbar unterbrechen.
  • Das Haus überdauert diese Brüche – ein Symbol für Kontinuität.
5. Abschied und Versöhnung

Die anfängliche Projektion von Einsamkeit („Fühlst du dich verlassen?“) weicht der Erkenntnis, dass das Haus Teil eines größeren Ganzen ist (Natur, Zeit). Der Abschied („Drum leb denn wohl“) ist kein Ende, sondern eine Übergabe der Erzählung an den Wind – das Haus bleibt Erzähler seiner eigenen Geschichte.

Form und Sprache
  • Dialogstruktur: Das Gedicht ist ein Monolog an das Haus, das jedoch durch Beschreibungen „antwortet“.
  • Naturbilder: Stürme, Fluten, Pflanzen verankern das Haus im Kreislauf der Natur.
  • Melancholie und Trost: Der Ton ist trauernd, aber nicht hoffnungslos – das Haus wird als „alter Freund“ gewürdigt.
Fazit

Groß verbindet persönliche Reflexion mit universellen Themen: Wie Orte uns prägen, wie Erinnerung Kunst gebiert, und wie wir im Dialog mit der Vergangenheit uns selbst verstehen lernen. Das Haus steht letztlich für das, was bleibt – nicht perfekt, aber lebendig in seinen Narben.

„Erzähl dem Wind, was ich dir zugetragen“ – eine Aufforderung, Geschichten weiterzutragen, selbst wenn wir gehen.





Zusammenfassung

Im Herzen der Nordseeinsel Pellworm steht ein altes Haus – still, verwittert und doch voller Leben. In ihm spiegeln sich Geschichten von Leid und Glück, von Einsamkeit und Verbundenheit.

Hans Jürgen Groß nimmt uns mit auf eine poetische Reise zu diesem besonderen Ort, an dem die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. „Das alte Haus“ ist ein zärtlicher Dialog zwischen Mensch und Bauwerk, ein Monolog über Heimat, Schatten und das leise Flüstern der Zeit.

Begleitet von einem eigens entstandenen Kurzfilm öffnet dieses Gedicht ein Fenster zu einer Welt, in der die Natur, das Erinnern und die eigene Seele miteinander in Resonanz treten. Ein Ort, der kreativ berührt und zu innerer Einkehr einlädt.




Schlagworte


Einsamkeit, Heimat, Erinnerungen, Natur, Selbstbegegnung, Poesie des Alltags, Vergänglichkeit, Schatten der Vergangenheit, Symbolik alter Häuser, Nordseeinsel Pellworm, lyrischer Monolog, Spiegel der Seele, Poetryfilm, kreativer Rückzugsort, Mensch und Natur, Stille als Kraft, Transformation, innerer Dialog, Häuser mit Geschichte, Inspiration durch Orte




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