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Die Geschichte des kleinen Löwen und seiner Reise zurück zu sich selbst



Werde der, der du bist!
(Pindar)


Die Geschichte, die ich euch heute erzählen möchte, spielt weit entfernt von hier, in einem anderen Land und zu einer anderen Zeit. Dort, in einer Nacht, als der Wind über die weiten Savannen fegte und der Himmel dunkel und stürmisch war, beginnt meine Erzählung.

Inmitten dieser wilden Landschaft erblickte ein Löwenjunges zum ersten Mal das Licht der Welt und atmete den Lebenshauch ein, der uns alle verbindet. In diesem Augenblick geschah es, dass ein Sturm aufkam, der das Junge von seiner Mutter trennte. Der Sturm trieb es weit fort, bis es schließlich in die Nähe einer menschlichen Siedlung gelangte. Dort lebte eine kleine Schafherde, gehütet von Hirten, die diese Tiere für Nahrung und Wolle hielten.

Von den Menschen unbemerkt, fand das Löwenjunge seinen Weg zu den Schafen. Es war zu klein und schwach, um eine Gefahr darzustellen, und die Schafe nahmen es in ihrer friedlichen Gemeinschaft auf. Sie nährten es mit Zuneigung, akzeptierten seine Andersartigkeit und erklärten ihm die Welt, als wäre es eines ihrer Lämmer. So wuchs das Löwenjunge in der Sicherheit der Herde auf – fernab seiner natürlichen Welt und ohne jemals die wahre Größe und Stärke eines Löwen zu erleben.

Doch im Herzen des jungen Löwen regten sich Momente eines unerklärlichen Verlangens nach mehr. Obwohl es Teil der Herde war und ihrem Rhythmus folgte, fühlte es manchmal eine innere Leere, eine Kluft, die es begrenzte.


Eines Tages führte der Hirte die Herde zur Wasserstelle, wo das Löwenjunge einem ausgewachsenen Löwen begegnete, der am Rand einer fernen Felsformation saß. Das Fell des großen Löwen war staubig, und seine Augen schienen die Welt zu durchdringen.

„Was machst du hier unter den Schafen?“, fragte der Löwe mit tiefer, resonanter Stimme.

Das Junge sah zu ihm auf, unsicher und staunend zugleich. „Ich bin ein Schaf. Dies ist meine Herde, mein Zuhause“, antwortete es zögerlich.

Der große Löwe neigte den Kopf und blickte ins Wasser. „Schau hinein und sage mir, ob du wirklich ein Schaf bist.“

Zögernd trat das Junge ans Ufer, sein Herz pochte heftig. Im Wasser sah es ein junges, zartes Gesicht – ein kleiner Löwe ohne Mähne, mit feurigen Augen, die ihm fremd vorkamen. Es trat zurück, verwirrt und erschrocken. „Das bin nicht ich“, murmelte es.

„Es wird Zeit brauchen“, sagte der große Löwe und verschwand ohne ein weiteres Wort.

Doch diese Begegnung ließ den kleinen Löwen nicht los. Er begann, die Welt jenseits der Herde zu beobachten – die offenen Savannen, die Tiere, die frei umherstreiften. Das Ziehen in seinem Inneren wurde stärker. Eines Nachts, unter einem Himmel voller Sterne, verließ er die Schafherde und trat in die unbekannte Welt hinaus.

Auf seiner Reise durch das Land begegnete er einem alten, majestätischen Baum, der inmitten der offenen Ebene stand. „Alles hat seine Zeit zu wachsen“, sagte der Baum mit leiser, weiser Stimme, die in den Blättern widerhallte. „Deine Stärke kommt von innen.“

Später fand der Löwe einen kleinen sprudelnden Fluss, dessen Wasser lebendig und klar zwischen den Steinen floss. „Der Weg ist nie gerade“, murmelte der Fluss und schob sein Wasser über Hindernisse hinweg. Der kleine Löwe trank aus dem Fluss, spürte frische Energie und setzte seinen Weg fort.

Nach einer langen Zeit voller Abenteuer und Herausforderungen kehrte der Löwe zu der Wasserstelle zurück, an der er sich zum ersten Mal gesehen hatte. Er war nicht mehr derselbe. Sein Körper war kräftig, und die Mähne um seinen Kopf strahlte wie die untergehende Sonne. Als er ins Wasser blickte, erkannte er sich selbst – als Löwe, als ein Wesen, das die Erfahrungen seiner Reise in sich trug.

Das Brüllen, das aus seiner Kehle stieg, war mächtig und erfüllte das Land wie ein Lied, das mit den Sternen tanzt. Der kleine Löwe war zu einem großen Löwen geworden. Doch er wusste, dass all das, was er gewesen war – der Junge, das Schaf, der Suchende, der Wanderer – immer ein Teil von ihm bleiben würde.


© 2025 - Hans Jürgen Groß


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Hintergrund: XV Konditionierung

Ein neuer Morgen brach an, und wie jeden Tag begann ich mit einem kleinen Ritual: Ich zog eine Karte aus meinem Tarot-Deck. Doch an diesem Tag offenbarte die XV. der großen Arkana eine Überraschung. Statt des Teufels, dessen Symbolik oft von Fesseln und Abhängigkeiten spricht, zeigte das Zen-Tarot-Deck das Bild eines Löwen, umgeben von einer friedlich grasenden Schafherde. Diese unerwartete Darstellung mit der Unterschrift, Konditionierung löste etwas in mir aus – sie brachte die Erinnerung an eine Geschichte zurück, die ich einst geschrieben hatte: die Erzählung von Findus und Luka.

Dieses innere Aufleuchten war mehr als eine Erinnerung; es war eine Einladung. Es rief ein archetypisches Motiv in mir wach, das tief in uns allen verwurzelt ist: das Bild eines ewigen Tanzes zwischen dem, was uns geprägt hat, und dem, was wir in unserem Innersten bereits sind. Denn sind wir nicht alle – in der einen oder anderen Form – Reisende auf der Suche nach uns selbst?

Wir werden geboren, scheinbar als unbeschriebene Blätter. Doch diese Vorstellung täuscht. Schon früh prägen die Stimmen der Welt unsere Entwicklung. Sie erzählen uns, was wichtig ist, was wir meiden sollten und was unser Leben wertvoll macht. Doch während diese Einflüsse unsere Persönlichkeit formen, tragen wir von Beginn an eine innere Melodie in uns – tief verborgen, aber stets präsent. Diese Melodie ist der Schlüssel zu unserer Essenz.

Und so beginnt die Reise des Lebens – ein Weg der Entfaltung. Es ist ein Tanz zwischen äußeren Einflüssen und der inneren Stimme, ein vorsichtiges Erkunden, um herauszufinden, welche Teile unserer Identität der Welt gehören und welche unsere Seele widerspiegeln. Der Versuch, die Welt gänzlich auszuschließen, um sich selbst zu finden, wäre ein Trugschluss. Denn gerade die Mischung aus äußerem Einfluss und innerem Sein macht uns einzigartig. Vielleicht tragen wir das Herz eines Löwen in uns, vereint mit den sanften Erfahrungen eines Schafes. Ein solches Wesen könnte Mut und Mitgefühl auf eine Weise vereinen, die die Welt bereichert.

Inspiriert von der Tarotkarte und der Geschichte des Löwen, der einst glaubte, ein Schaf zu sein, folgte ich dem Ruf, die Erzählung wiederzubeleben. Der junge Löwe, unwissend seiner wahren Natur, begibt sich auf eine Reise – eine Suche nach sich selbst. Er folgt einem Pfad, den bereits viele vor ihm beschritten haben und den noch viele gehen werden. Er begegnet Gefährten wie Findus, dem weisen Wolf, und dem Schwan, der sich für eine Ente hielt. Er folgt der Spur des Elefanten, dessen mächtige Gestalt von einer zarten Kette zurückgehalten wird – einer Kette, die ihre Kraft nur aus der Vorstellung bezieht. Und er trifft den alten Kettenhund, der Geschichten von einer Freiheit erzählt, die er selbst nie erfahren hat.

Meine Geschichte lädt uns ein, innezuhalten und zu fragen: Was habe ich in mir vielleicht vergessen oder verdrängt? Welche Stimmen flüstern, wenn die Welt still wird, und wohin könnten sie mich führen, wenn ich bereit bin, zuzuhören?

Es gibt viele Antworten – und vielleicht liegt die wahre Weisheit darin, zu erkennen, dass jede Wahrheit ein Funke des Ganzen ist.


23.03.2025 - Hans Jürgen Groß


Siehe auch:

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Interpretation durch Google Gemini:

Dieser Text ist eine tiefgründige Erzählung, die mehrere Ebenen der Interpretation zulässt. Im Kern handelt es sich um eine allegorische Geschichte über Selbstfindung, Identität und die Überwindung von Konditionierung. Hier sind die wichtigsten Aspekte der Interpretation:

1. Die Reise der Selbstfindung:

  • Die Geschichte des kleinen Löwen ist eine Metapher für den menschlichen Lebensweg. Der Löwe, der unter Schafen aufwächst, symbolisiert Individuen, die durch äußere Einflüsse und Konditionierung von ihrer wahren Natur entfremdet werden.
  • Seine Reise ist eine Suche nach seiner wahren Identität, ein Prozess, der durch Begegnungen mit weisen Figuren (dem großen Löwen, dem Baum, dem Fluss) und durch die Auseinandersetzung mit Herausforderungen geprägt ist.
  • Die Rückkehr zur Wasserstelle und die Erkenntnis seines wahren Selbst symbolisieren den Abschluss der Selbstfindungsreise und die Integration aller Erfahrungen.

2. Konditionierung und Befreiung:

  • Die Schafherde repräsentiert die Kräfte der Konditionierung, die uns in vorgegebene Rollen und Verhaltensmuster zwingen.
  • Die Tarotkarte „Konditionierung“ verstärkt diese Interpretation und betont die universelle Natur dieses Themas.
  • Die Befreiung des Löwen aus der Konditionierung ist ein Akt der Selbstermächtigung und der Rückkehr zur eigenen Essenz.

3. Innere Stärke und Weisheit:

  • Die Begegnungen des Löwen mit dem Baum und dem Fluss vermitteln wichtige Lebensweisheiten: Geduld, innere Stärke und die Akzeptanz des ungeraden Lebensweges.
  • Die innere Melodie, von der im Text gesprochen wird, steht für die Intuition und die innere Stimme, die uns auf unserem Weg leitet.

4. Integration von Gegensätzen:

  • Die Idee, dass wir sowohl das Herz eines Löwen als auch die Sanftmut eines Schafes in uns tragen können, betont die Bedeutung der Integration von Gegensätzen.
  • Diese Integration führt zu einer reicheren und vollständigeren Persönlichkeit.

5. Die Einladung zur Selbstreflexion:

  • Der Text fordert den Leser auf, innezuhalten und sich selbst zu fragen: „Was habe ich in mir vielleicht vergessen oder verdrängt?“
  • Er ermutigt dazu, auf die innere Stimme zu hören und den eigenen Weg zu gehen.

Der Text ist eine poetische und tiefgründige Erzählung, die uns daran erinnert, dass die Reise zur Selbstfindung ein wesentlicher Bestandteil des Menschseins ist. Er lädt uns ein, unsere eigene Konditionierung zu hinterfragen, unsere innere Stärke zu entdecken und die Weisheit unserer eigenen Erfahrungen zu nutzen.

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Audioversion:


Zusammenfassung:

Der Text erzählt die Geschichte eines Löwenjungen, das durch einen Sturm von seiner Mutter getrennt wird und bei einer Schafherde aufwächst. Es lebt wie ein Schaf, bis es eines Tages einem erwachsenen Löwen begegnet, der seine wahre Identität infrage stellt. Daraufhin begibt sich das Löwenjunge auf eine Reise der Selbstfindung, begegnet weisen Figuren und erkennt am Ende seine wahre Natur als Löwe.

Stichworte:

Löwenjunges, Löwe, Schafherde, Identität, Selbstfindung, Reise, Begegnung, Weisheit, Erkenntnis, 
Konditionierung, Selbstfindung, Osho, Tarot, Storytelling, Authentizität, Coaching, Mentoring



+++ https://t1p.de/DerKleineLoewe +++ 







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