Aufbruch im Dezembergrau - oder: Geboren am 23. Dezember
Die Legende meiner Geburt, von mir selbst erzählt.
Es war eine jener tiefschwarzen Nächte, wie sie nur der Dezember zu zaubern vermag. Das Jahr ging seinem Ende entgegen, und die verheißungsvolle Zeit der Erwartung erfüllte die Tage. Weihnachten stand vor der Tür. Das Thermometer zeigte bescheidene 4 Grad, und ein sanfter Regen benetzte die Erde. Von Schnee keine Spur, keine Verheißung eines weißen Weihnachtsfests. Der zunehmende Mond, drei Tage vor seiner vollen Pracht, hing schwer und träge unter einem grauen Gewand aus Wolken.¹
Ein junger Mann eilte in jener Nacht über das im Licht der Laternen glänzende Kopfsteinpflaster des Melsunger Marktplatzes. Seine Schritte hallten einsam zwischen den alten Fachwerkhäusern, nur begleitet vom gemessenen Schlag der alten Rathausuhr. Zu Hause, in einer kleinen Wohnung nicht weit entfernt, wartete seine Frau, jung, ängstlich und von den ersten Wehen gezeichnet, während die gerufene Hebamme, erfahren und gelassen, über den Marktplatz pendelte, um den Mann zu beruhigen und die werdende Mutter mit sanften Worten zu stützen. Neben ihr wachte die künftige Großmutter, das Gesicht von den Jahren gezeichnet, mit helfenden Händen und stiller Stärke.
Und dann geschah es. Ein Augenblick, der vom ständigen Wandel des Werdens, Wachsens und Vergehens erzählt.
Um 4:15 Uhr an jenem frühen Morgen des 23. Dezembers erblickte ich das Licht dieser Welt. Eine flackernde Glühbirne tauchte die engen Wände des Zimmers in zitternde Schatten. Mein erster Schrei durchbrach die Stille, ein Ruf aus dem Reich der Dunkelheit hinüber in das strahlende Ungewisse.
„Es ist ein Junge“, sprach die Hebamme und so umging ich den Namen Petra. Stattdessen erhielt ich das traditionelle "J" und den "Hans" des männlichen Erstgeborenen, der "Groß"-Familie. Eine Reminiszenz an Johan (Hans) Justus Groß und Johann Josef Benz, meine Großväter.²
Ein neues Leben begann – zart, ungewiss, voller Versprechen. Die Enge des Mutterleibs hatte mich entlassen, und nun lag ein unermessliches Universum vor mir, begonnen in der kleinen Welt dieses Zimmers. Hoffnung und Sorge lagen in der Luft, unausgesprochene Erwartungen schwebten wie flüchtige Nebelschwaden, bereit, von mir aufgenommen zu werden.
Am nächsten Tag, meinem ersten Heiligabend, hielt ich das erste Weihnachtsgeschenk des Vaters in meinen kleinen Händen: ein Spielzeugauto und eine Rassel. Doch meine zarten Finger waren noch zu unbeholfen, mein Forscherdrang zu stürmisch – die Gaben wurden wieder entzogen. Die Entdeckung der Welt musste warten.
Und dann kamen die Rauhnächte mit ihren wilden, geheimnisvollen Winden. Ein unsichtbarer Feind – ein scheinbar harmloser Schnupfen – nistete sich in der kleinen Wohnung ein und forderte den ersten Tribut meines jungen Lebens. Um mich zu schützen, wurde ich abgestillt. Mein Vater fütterte mich mit der Flasche, während meine Mutter und Großmutter, die Gesichter hinter Tüchern verborgen, mich aus sicherer Entfernung umsorgten. Die Wärme mütterlicher Liebe wich der ängstlichen Fürsorge einer Welt, die so zerbrechlich und gefährlich schien.
Das erste Foto, das es von mir gibt, ein Zeugnis meiner Erzählung, zeigt mich auf dem Arm meiner Großmutter, festgehalten durch den Blick des Vaters – ein stiller Moment, eingefroren in der Zeit.
¹ Über das Wetter zu meiner Geburt erhielt ich keine Berichte. Die Informationen dazu habe ich im Internet für die Stadt Kassel gefunden. Für Melsungen gab es keine Aufzeichnungen. Den Mondzyklus habe ich ebenfalls durch eine Internetrecherche ermittelt.
² Über mehrere Generationen hinweg trugen die erstgeborenen Söhne in der Familie Groß den Namen Johannes oder Johan(n) Justus. Mein Vater selbst war der Drittgeborene, bekam jedoch als Erster einen Sohn. Knapp ein halbes Jahr nach meiner Geburt wurde mein Cousin geboren. Er war das zweite Kind des ältesten Bruders meines Vaters und hatte bereits eine ältere Schwester. Mein jüngerer Cousin erhielt den Namen Hans Joachim.
Über Johann Josef, den Vater meiner Mutter, habe ich an dieser Stelle schon mehrfach berichtet. Er blieb im Krieg verschollen und hinterließ eine schmerzliche Leerstelle im Leben meiner Mutter.
Ich selbst blieb das einzige Kind unserer kleinen Familie.
Die Vornamen meiner drei Töchter beginnen alle mit einem "J". Die Älteste erhielt den Namen Johanna, obwohl mir der zuvor genannte familiäre Hintergrund bei der Namensgebung zu dem damaligen Zeitpunkt nicht bewusst war.
© 2024 - Hans Jürgen Groß
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Interpretation des Textes durch ChatGPT
Der Text ist eine liebevoll gestaltete autobiografische Reflexion, die in Form einer Legende von der eigenen Geburt erzählt. Er verbindet poetische Beschreibungen der äußeren Welt mit intimen Einblicken in familiäre Beziehungen und das eigene Leben. Die Darstellung ist zugleich nostalgisch und humorvoll, mit einem Hauch von Melancholie und Besinnlichkeit.
Interpretation:
Stimmung und Atmosphäre:
- Der Text beginnt mit einer bildhaften Schilderung der Dezembernacht, in der die Geburt stattfand. Die dunklen, regnerischen und grauen Elemente schaffen eine ruhige, fast melancholische Kulisse, die den Ernst und die Bedeutung des Augenblicks unterstreicht.
- Gleichzeitig wird die Szene durch Details wie das Kopfsteinpflaster, die Rathausuhr und die Fachwerkhäuser in eine historische und lokal verankerte Umgebung eingebettet.
Persönliche Perspektive:
- Die Erzählung wechselt geschickt zwischen der Perspektive des Neugeborenen und der des reflektierenden Erwachsenen, der auf sein eigenes Leben und die Familiendynamik zurückblickt.
- Der Erzähler nimmt eine humorvolle Haltung ein, etwa bei der Bemerkung über den möglichen Namen „Petra“, den er durch seine männliche Geburt „umging“.
Familiengeschichte und Tradition:
- Der Text beleuchtet die Bedeutung der Namensgebung in der Familie und den Einfluss der Ahnen auf die Identität des Erzählers. Die Nennung der Großväter und die Kontinuität des Namens „Hans“ verbinden Vergangenheit und Gegenwart.
- Gleichzeitig wird die Rolle der Großmutter, der Mutter der Mutter hervorgehoben, die in einem schwierigen Moment des Übergangs Stärke und Fürsorge zeigte.
Mythische Elemente:
- Der Autor rahmt seine Geburt als einen Moment von universeller Bedeutung ein: „Ein Augenblick, der vom ständigen Wandel des Werdens, Wachsens und Vergehens erzählt.“
- Die Erwähnung der Rauhnächte verleiht dem Text eine mystische Komponente, die das Alltägliche mit einem Hauch von Geheimnis und Schicksal auflädt.
Persönlicher Rückblick:
- Das Geschenk des Vaters (Spielzeugauto und Rassel) und die Krankheit der Mutter und Großmutter sind liebevoll erzählte Details, die die Verletzlichkeit und Abhängigkeit des jungen Lebens verdeutlichen.
- Die späteren Reflexionen über das Alter („66 Jahre im Jahr 2024“) sowie über die Geschichte der Familie verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf persönliche Weise.
Fazit:
Der Text ist mehr als eine bloße Geburtsgeschichte. Er ist eine poetische Hommage an die Familie, an die Kraft von Traditionen und an den Zauber der Anfänge. Die warme, persönliche und reflektierte Erzählweise lädt dazu ein, sich mit der eigenen Herkunft und den Momenten zu beschäftigen, die das Leben formen. Ein berührender, nachdenklicher und feinsinniger Blick auf die eigene Existenz.
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Zusammenfassung:
"Geboren am 23. Dezember: Eine persönliche Erzählung zwischen Tradition und Neubeginn"
Ein berührender Rückblick auf die eigene Geburt im grauen Dezember. Der Text verbindet poetische Bilder, familiäre Traditionen und eine Reise durch Zeit und Raum. Von der mystischen Atmosphäre der Rauhnächte bis hin zur Bedeutung von Namen und Familie – eine Geschichte über den Zauber des Lebensbeginns und die Stärke der Generationen. Ideal für alle, die sich für autobiografische Erzählungen, Familiengeschichten und persönliche Reflexionen interessieren.
Stichworte:
Geburt, Familie, Tradition, Rauhnächte, Dezember, Weihnachten, Heiligabend, Nostalgie, Namensbedeutung, Autobiografie, Generationsgeschichte, Melsungen, Erinnerung, Reflexion, Lebensgeschichte, Lebensschatz