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Ein Jubiläum, eine Überraschung und die ethischen Fragen dahinter

Am 19. Juli feierten meine Eltern ihren 65. Hochzeitstag. Da der Hintergrund für diese Hochzeit meine Existenz ist, zeigt ein Jubiläum immer auch gleich ein bevorstehendes bei mir an. Ich erinnere mich noch gut an die Silberhochzeit, die mit Tanz und Kapelle in einem Gasthaus in Neuenbrunslar gefeiert wurde. Dann die Goldhochzeit, für deren Feier auf dem Heiligenberg ich meinen Urlaub in St. Peter-Ording mit den Kindern verkürzt hatte. Dass die 65 Jahre Feier so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, Politik und Kirche gratulieren würde, war mir nicht bewusst. So war ich an dem Ehrentag unterwegs und nicht zu Hause. Die Feier war auf den darauffolgenden Sonntag festgelegt worden. Zuerst gab es Essen in einem Restaurant auf dem Heiligenberg. Dann schlossen Kaffee und Kuchen sowie ein improvisiertes Abendessen im Haus meiner Eltern an. Als ich von der Feier wieder zu Hause war, entschloss ich mich zu einer kleinen Überraschung. Ich verfasste schnell einen Artikel über das Fest und reichte ihn mit einem Foto bei der örtlichen Zeitung ein.

Am kommenden Tag rief die Zeitung mich an, um die Altersangabe meiner Eltern abzufragen. Weiter wollten sie wissen, ob meine Eltern auch mit der Veröffentlichung einverstanden wären. Von meiner Mutter wusste ich, dass ihr dies gefallen würde, bei meinem Vater war ich eher unsicher. Meine Eltern selbst hatten bei schulischen und beruflichen Abschlüssen meiner Kinder in der Zeitung Glückwunschanzeigen aufgegeben, ohne dies zuvor mit mir abzusprechen. So bestätigte ich, die Erfüllung dieses Kriteriums. Eine Notlüge, sozusagen, um meinen Eltern eine Freude zu machen. Ich hasse ein solches Vorgehen. Doch wie sonst hätte die Überraschung gelingen können? Am kommenden Mittwoch erschien dann der Artikel in der Zeitung, und beide Elternteile freuten sich hierüber.

Ich bedankte mich noch einmal bei der Redaktion, dass es möglich geworden war, diesen Artikel zu veröffentlichen. Hierbei erfuhr ich, dass man bereits einige Zeit versucht habe, mit meinen Eltern Kontakt aufzunehmen, um über das Jubiläum zu berichten. Meine Eltern hatten jedoch einer Berichterstattung widersprochen.

Themen wie „Der Preis der Lüge“ oder „Ein Handeln ohne Auftrag“ kamen mir in den Sinn. Es war noch einmal gut gegangen, aber …



 
Mein Textvorschlag:

Das Fest der eisernen Hochzeit, für 65 Ehejahre, konnten am 19. Juli 2023 Elisabeth und Edgar Groß aus Gensungen feiern. Neben Nachbarn, Freunden und Verwandten entsandten auch Ministerpräsident Boris Rhein sowie die Bischöfin der EKKW, Frau Dr. Beate Hofmann, ihre Glückwünsche zu diesem seltenen Fest. Weitere Glückwünsche kamen vom Landrat des Schwalm-Eder Kreises, sowie von dem ersten Stadtrat der Stadt Felsberg. Das Paar feierte im kleinen Kreis mit ihrem Sohn, seiner Partnerin und ihren drei Enkeltöchtern. Elisabeth und Edgar hatten sich in der Berufsschule in Melsungen kennengelernt. Der Ausschlag ihrer langen Verbindung war ein Ausflug auf den Heiligenberg, den beide getrennt voneinander am 1. Mai 1956 unternahmen. Dort trafen sie außerhalb der Schule aufeinander, und Elisabeth ergriff die Initiative, Edgar anzusprechen. Doch statt nach einer Zigarette zu fragen, bat sie um einen Kamm. Der Kamm wurde zu einem Symbol ihrer Liebe, und auch zum 65. Ehejubiläum wurde an diese einschneidende Geschichte im Leben der beiden gedacht.


HNA - Melsungen vom 26. Juli 2023



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