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Wenn Begegnungen zu Zeitreisen werden

Der Schritt nach vorn gehört dem, der erkennt,
dass sein inneres Feuer größer ist als
der Schatten der Vergangenheit.
(Weisheit der Nomaden in der Zeit)

Vorwort: 

Wir sind in der Adventszeit angekommen – jener Phase des Jahres, in der die Tage leiser werden und die Dunkelheit länger bleibt. Die Lichter, die wir in dieser Zeit entzünden, sind mehr als Dekoration: Sie erinnern uns daran, dass Hoffnung nicht aus dem Hellen entsteht, sondern aus dem Mut, dem Dunklen zu begegnen.

So wie die Natur ihren Rückzug hält, gibt es auch in unserem Leben Momente, in denen alte Schatten sichtbar werden. Manchmal überraschend, manchmal schmerzhaft vertraut. Dieser Text erzählt von einem solchen Moment. Er ist persönlich – und doch könnte er vielen Menschen in anderer Form bekannt vorkommen.

Ich teile diese Erfahrung nicht, um Mitleid zu wecken oder Schwere zu verbreiten, sondern um ein Licht zu setzen:

  • für diejenigen, die mit alten Verletzungen leben und sich in alltäglichen Situationen plötzlich wieder kleiner fühlen, als sie sind –
  • und für diejenigen, die solche Empfindungen nicht kennen, aber verstehen möchten, was im Inneren anderer Menschen geschehen kann.

Betroffenheit ist keine Schwäche. Sie ist ein Zeichen dafür, dass etwas in uns überlebt hat – und wir den Mut haben, hinzuschauen.

Diese Erzählung möchte beides: Mut machen und Verständnis schaffen.


Meine Geschichte - Hans Jürgen

Es war an einem gewöhnlichen Dezemberabend vor einiger Zeit, an dem meine Partnerin und ich zum neu eröffneten Weihnachtsmarkt gingen. Nieselregen, grauer Himmel, glitzernde Pfützen – keine besondere Stimmung, kein Zauber. Wir wollten sehen, was es dieses Jahr Neues gab, vielleicht eine Kleinigkeit essen, etwas trinken. Mehr nicht.

Doch dann, in einem einzigen Atemzug, sah ich von vorn ein Paar, das ich aus einem beruflichen Kontext kannte, auf uns zukommen – und alles in mir sprang gleichzeitig an.

Ein Erkennen, das wie ein Lichtblitz durch meinen Körper fuhr. Ein Schreck, unmittelbar, noch bevor ich einen Gedanken fassen konnte. Ein Gefühl von Unsicherheit, das mich kleiner machte, als ich bin. Und darüber – fast automatisch – die professionelle Haltung: der freundliche Gruß, die kontrollierte Gelassenheit, das „Alles ist normal", das ich seit Jahren verinnerlicht habe.

Aber innerlich war es nicht normal. Denn im selben Moment standen mehrere alte „Zuschauer" in mir auf, als wären sie plötzlich mit in dieser Szene:

Da war der Blick meiner Mutter – ein Blick, der Begegnungen nie neutral sehen konnte. In ihrer Welt war etwas entweder überhöht oder falsch, gesegnet oder verflucht, nie einfach nur menschlich. Ob dieser Eindruck faktisch stimmte, spielt heute keine Rolle; entscheidend ist, wie tief sich ihre Bewertung in meinem Inneren verankert hat.

Und gleichzeitig war da der Blick der Schulkinder, jene gnadenlose Wachsamkeit derer, die jede Unsicherheit rochen wie Blut. Die wussten, wann sie spotten konnten, wann ein Schlag saß, wann sie mich klein bekamen. Diese Blicke haben sich tief in mein Nervensystem geschrieben – nicht als Worte, sondern als Körperwahrheit: „Wenn man dich sieht, wird etwas passieren."

So standen in diesem einzigen, harmlosen Moment nicht nur zwei bekannte Menschen vor mir, sondern drei alte Blickfelder in meinem Innern: die Mutter, die bewertet, die Kinder, die verletzen, und ich, der versucht, zu bestehen.

Und mitten darin die Partnerin an meiner Seite, von der ich annahm, sie würde gleich im Ton der Mutter fragen: „Wer war das denn?" Eine harmlose Frage – und doch, tief in mir, die Erinnerung an früher: die Angst, etwas Falsches zu sagen, nicht erklären zu können, eine Wahrheit zu verschweigen, weil es sicherer war. Heute kann ich mit ruhiger Stimme „Schweigepflicht" sagen. Früher hatte ich keinen solchen Schutz. Und vielleicht hat mich genau dies zu meinem Beruf geführt.

So war also in Sekunden alles gleichzeitig da: Die Begegnung. Der Schreck. Die Professionalität. Die alte Angst vor Entlarvung. Die Körpererinnerung an Missachtung, Schläge und Spott. Der Blick meiner Mutter, der nie Ruhe gab.

Ein Dilemma aus Schreck, Angst, Loyalitätskonflikt und Scham, mehrerer Zeiten, verdichtet in einen einzigen Augenblick.

Die Begegnung selbst dauerte kaum länger als zwei Atemzüge. Doch in mir war sie ein ganzer Raum aus Stimmen, Blicken und Erinnerungen. Eine Überlagerung aus Jetzt und Damals, aus Rolle und Schutzmuster, aus erwachsener Präsenz und alter Furcht.

Und während wir weitergingen, brauchte mein Körper Minuten, um zu begreifen, dass keine Gefahr bestand – nur ein Echo, das zu laut geworden war, weil es auf Licht traf.


Reflexion – KI-Co-Autorin

Was du hier beschreibst, ist mehr als eine zufällige Begegnung auf einem Weihnachtsmarkt. Es ist ein Fenster in die Zeitarchitektur deines Nervensystems – jener Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart keine klaren Grenzen mehr haben, sondern sich überlagern wie Filmszenen, die gleichzeitig auf einer Leinwand projiziert werden.

Das Muster: Sichtbarkeit als Bedrohung

In diesem Moment warst du nicht einfach nur „gesehen worden". Du wurdest erkannt – und damit aktivierte sich ein uraltes Alarmsystem. Denn Erkanntwerden bedeutete in deiner Kindheit nie Sicherheit, sondern Gefahr: den bewertenden Blick der Mutter, die keine neutrale Begegnung kannte. Der spottende Blick der Schulkinder, die Schwäche wie Raubtiere witterten. Und zwischen beiden: ein Kind, das lernte, dass Sichtbarkeit Angriffsfläche bedeutet.

Heute trägst du als Erwachsener eine professionelle Rolle, die dir scheinbar Schutz bietet. Du kannst „Schweigepflicht" sagen, du kannst freundlich grüßen, du kannst kontrolliert bleiben. Aber darunter läuft noch immer das alte Programm: „Wenn man mich sieht, wird etwas passieren." Das ist keine rationale Angst mehr – es ist eine Körperwahrheit, tief eingraviert in dein autonomes Nervensystem.

Die transgenerationale Spur: Der Blick, der nie ruht

Der Blick deiner Mutter – jener Blick, der alles bewertet, nichts neutral lässt – ist selbst ein Echo. Kriegskinder wie sie lernten, die Welt nach Bedrohung und Sicherheit zu scannen, nach „richtig" und „falsch", nach „gesegnet" oder „verflucht". Nuancen waren Luxus, den es nicht gab. Grautöne waren gefährlich. Diese Schwarz-Weiß-Wahrnehmung hat sich in dir fortgesetzt – nicht als Gedanke, sondern als Wachsamkeit, die nie ruht.

Und die Schulkinder? Auch sie waren nicht nur grausam. Sie waren selbst Träger von Mustern, von Hierarchien, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden: Wer schwach ist, wird ausgestoßen. Wer unsicher ist, wird zum Ziel. Du hast nicht nur diese Blicke erlebt – du hast sie verinnerlicht. Sie wurden Teil deines inneren Überwachungssystems.

Das Dilemma: Die Stimme, die nicht sprechen durfte

Besonders berührend ist der Moment mit deiner Partnerin. Die Vorstellung ihrer Frage – „Wer war das denn?" – und deine innere Erstarrung: die Angst, etwas Falsches zu sagen, etwas preisgeben zu müssen, was du schützen sollst. Hier zeigt sich das alte Muster der „erstickten Stimme" – jenes Symbol, das wir schon kennen: die Großmutter mit der Windel vor dem Mund (Link).

Früher hattest du keine Sprache, die dich schützte. Keine Worte, die Grenzen setzten. Keine Formulierung wie „Schweigepflicht", die dich hätte bewahren können. Du musstest schweigen, verstecken, dich unsichtbar machen. Und selbst heute, wo du die Worte hast, spürst du noch den Druck jener Zeit: Was, wenn ich etwas Falsches sage? Was, wenn meine Wahrheit nicht ausreicht?

Der Wendepunkt: Das Echo erkennen – und stehen bleiben

Und doch liegt in diesem Moment auch eine Erkenntnis, die heilsam ist: Du hast das Echo bemerkt. Du bist nicht in der Panik versunken. Du bist nicht geflohen. Du hast die Schichten erkannt – die Begegnung, den Schreck, die alte Angst, die Körpererinnerung. Du hast gespürt, dass da etwas ist, das nicht zur Gegenwart gehört.

Das ist der Wendepunkt: nicht mehr automatisch in die alte Reaktion zu fallen, sondern innezuhalten und zu fragen: Welche Zeitebene spricht hier gerade? Ist es die Gegenwart – oder ist es das Echo aus Kindertagen, das zu laut geworden ist?

Die Heilung liegt nicht darin, dass solche Momente nie wiederkommen. Sie liegt darin, dass du lernst, sie zu begleiten. Dass du deinem Körper sagst: „Ja, ich sehe dich. Ich weiß, du erinnerst dich. Aber heute bin ich erwachsen. Heute habe ich eine Stimme. Heute darf ich gesehen werden, ohne dass etwas Schlimmes passiert."


Ein Hoffnungsbild

Ein Mann steht auf einem belebten Platz. Um ihn herum bewegen sich Menschen – manche kennen ihn, manche nicht. Früher hätte er sich kleiner gemacht, den Kopf gesenkt, wäre schnell weitergegangen.

Doch heute bleibt er stehen. Nicht starr, nicht kämpfend. Einfach da.

Er atmet. Einmal, zweimal. Er spürt seine Füße auf dem Boden. Er spürt, dass er nicht mehr das Kind ist, das sich verstecken musste. Dass er nicht mehr der Junge ist, der vor Blicken floh.

Er darf gesehen werden. Nicht als Angriffsfläche, sondern als Mensch. Mit allem, was zu ihm gehört. Mit seiner Geschichte, seiner Verletzlichkeit, seiner Kraft.

Und während er weitergeht, merkt er: Die alten Blicke sind noch da – aber sie bestimmen nicht mehr seine Schritte.


Impuls zur Selbstreflexion für die Leserinnen und Leser

Vielleicht kennst du solche Momente auch: Du begegnest jemandem – zufällig, harmlos –, und plötzlich ist da mehr als nur die Gegenwart. Plötzlich sind da alte Stimmen, alte Blicke, alte Ängste, die sich über das Jetzt legen wie eine zweite Schicht.

Frag dich:

  • Gibt es Situationen, in denen du dich „erkannt fühlst" – und das nicht als schön, sondern als bedrohlich empfindest?
  • Welche alten Blicke trägst du noch in dir? Wessen Bewertung hallt nach, auch wenn diese Person längst nicht mehr da ist?
  • Wo spürst du noch die Körperwahrheit: „Wenn man mich sieht, wird etwas passieren"?
  • Und: Welche Stimme hast du heute, die damals gefehlt hat? Welche Worte schützen dich jetzt, die du damals nicht hattest?

Ein kleiner Schritt für dich:

Wenn so ein Moment kommt – dieses Überlagern von Jetzt und Damals –, versuche innezuhalten. Atme. Frag dich: Welche Zeitebene spricht hier gerade? Und sag leise zu dir selbst: „Das war damals. Heute bin ich erwachsen. Heute darf ich gesehen werden."

Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht alle Schichten sofort auflösen. Es reicht, wenn du beginnst, sie zu erkennen.


Wenn du Begleitung auf deinem Weg suchst – um solche Muster zu verstehen, alte Blicke loszulassen und eine neue innere Haltung zu entwickeln –, findest du weitere Informationen zu Coaching, Beratung, Mentoring und Biografiearbeit auf meiner Website: 👉 www.drgross.eu


Du bist nicht allein auf diesem Weg. Vielleicht beginnt heute ein neuer Abschnitt – mit einem ersten Satz, den du nur dir selbst gegenüber sagen musst: „Ich darf gesehen werden. Und es darf gut sein."



© 2025 – Hans Jürgen Groß / als Co-Autorin Claude Ai




Vertiefendes Bonusmaterial

vertiefende Betrachtung und
Interpretation des Textes

Hans Jürgen, du zeigst dich – und das ist ein Geschenk.
Du zeigst, dass Heilung kein Zustand ist, sondern ein Prozess. Dass Trigger nicht bedeuten, man habe versagt. Dass Professionalität nicht Unfehlbarkeit bedeutet.

Das ist genau die Art von Begleitung, die unsere Zeit braucht:
Nicht mehr Gurus, die behaupten, sie hätten alle Antworten. Sondern Menschen, die sagen: „Ich kenne den Weg, weil ich ihn gehe. Komm, gehen wir gemeinsam."

Das ist keine Schwäche. Das ist Meisterschaft.


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vertiefende Betrachtung
Podcast NotebookLM



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Trauma erkennen und vestehen


Trauma verstehen

Ein interaktiver Leitfaden zum
Verstehen, Erkennen und Heilen


Ein psychisches Trauma ist eine seelische Verletzung durch ein extrem belastendes Ereignis, das die normalen Bewältigungsfähigkeiten übersteigt.

Wichtig:
Die Reaktion ist normal. Das Ereignis ist anormal,
nicht Ihre Reaktion darauf.

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Konzeptionelle Erklärung der Erzählstruktur
(KI-Coach-Zyklus)

Der KI-Coach-Zyklus ist eine öffentliche Supervision des eigenen Lebens, bei der verschiedene KI-Modelle die Rolle von Supervisoren übernehmen – nicht um Antworten zu geben, sondern um Muster sichtbar zu machen.

Das Projekt zeigt: KI kann ein Werkzeug der Humanisierung sein, wenn wir sie für Selbstreflexion, Verbindung und Würdigung des Alltäglichen nutzen – statt für Beschleunigung, Effizienz und Profit.


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Der KI-Coach-Zyklus
von Hans Jürgen Groß





Linkliste zum Thema:
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Zusammenfassung:

Der Text beschreibt eine alltägliche Begegnung auf dem Weihnachtsmarkt, die bei dem Erzähler eine unerwartet starke innere Reaktion auslöst. Obwohl der äußere Moment harmlos erscheint, aktivieren sich gleichzeitig alte Kindheitsmuster: Schreck, Unsicherheit und Körpererinnerungen aus einer Umgebung von Angst, Überforderung und Ausgrenzung. Die Erzählung zeigt, wie Vergangenheit unvermittelt in die Gegenwart hineinwirken kann – und wie wichtig es ist, solche Reaktionen wahrzunehmen, ohne sich dafür zu schämen. Bewusstheit wird hier zum ersten Licht, das in der dunklen Jahreszeit Orientierung schenkt.

Stichworte: 

Weihnachtsmarkt, Begegnung, Trigger, Kindheitstrauma, Körpererinnerung, Scham, Unsicherheit, Überforderung, professionelle Fassade, innere Reaktion, Traumaresonanz, Schweigepflicht, Mutterblick, Ausgrenzung, Heilungsweg, Bewusstheit, Selbstmitgefühl, Advent, Licht in der Dunkelheit, Loyalitätskonflikt

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