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Urlaube in Greetsiel - oder: wie alte Bilder zum Ausgangspunkt für das Erkennen von gelebten Leben werden

Monoton bewegte sich das schwarze Stück Etwas von rechts nach links vor meinen Augen hin und her. Begleitet von einem eben solch monotonen „schwupp“ Geräusch. In einem auditiven Cocktail mischten sich die typischen Geräusche von fallendem Regen auf Glas, verbunden mit dem aufspritzenden Wasser der Fahrbahn. Basis bildete das Brummen des Motors, sowie die Musik, welche aus den Lautsprechern des Autoradios klang. – Es regnete, ja man könnte sagen, der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und lenkte einen Sturzbach auf das Auto, in dem ich saß.

Diese Erinnerung taucht als Erstes in mir auf, wenn ich an die Zeit des Urlaubs im Frühjahr 1989 denke. Und wenn ich fest daran glaube, dass es dir, liebe Leserin, lieber Leser möglich ist, sich in die berichtete Sinnsensation hineinzuversetzen, so hätten vor 200 Jahren entsprechende Vergleichserfahrungen gefehlt, um meinen Bericht sinnlich verständlich zu machen. Es war also ein regnerischer Tag, als ich im Auto aus dem Urlaub nach Hause fuhr. Ein kalter, verregneter Urlaub lag hinter mir, hinter uns. Urlaubszeit, welche ich zuvor, noch nie zu dieser Jahreszeit verbracht hatte. 

Es war eine Zeit des Umbruchs in meinem Leben. 

„30 Jahre“, war die Antwort auf die Frage, wie ich alt ich denn sei. „Trau keinem über dreißig“, ein Spruch, der mir damals häufig durch den Kopf ging. Knapp ein viertel Jahr zuvor, noch 29-jährig, durfte ich die Promotionsurkunde entgegennehmen, welche mich dazu berechtigte mich nun Dr. rer. pol. zu nennen. Am 09. November 1988, kurz vor Abschluss des Promotionsververfahrens, hatte ich erfahren, dass ich Vater werden sollte. Vater, etwas, vor dem ich mich zuvor gefürchtet hatte. Einschränkung, lastende Verantwortung, nicht mehr jung sein … All das verband ich damit. Und jetzt sollte es bald so weit sein. Für den Sommer war der Geburtstermin bestimmt worden, Grund für diesen vorgezogenen Urlaub.

Es war meine Idee, Greetsiel in Ostfriesland als Urlaubsort zu wählen. Berichte über die Schönheit des Ortes, in Kunst- und Fotozeitschriften, hatten meine Aufmerksamkeit eingefangen. Und so fuhren wir für eine Woche an diesen ostfriesischen Ort. Schon damals begleitete mich ein Fotoapparat auf Schritt und Tritt, und es entstanden mit meiner analogen Nikon FG einige Diapositive, die Jahrzehnte im Keller schlummerten. Es schien keinen Grund zum Hervorholen dieser Bilder zu geben. Ihr Betrachten brachte zwar ein Erkennen der Örtlichkeiten zurück, welche jedoch nicht mit weiter erinnerbarem Erleben verbunden waren. 


Es dauerte mehr wie ein halbes Leben, genauer gesagt 33 ½ Jahre bis ich an diesen Ort zurückkehrte. Der im Sommer 1989 geborenen Tochter waren zwei weitere Töchter gefolgt, ebenso wie weitere Ausbildungen und Prüfungen, sowie zahlreiche neue Kameras mich auf den weiteren Weg begleiteten. 

Mit meiner neuen Partnerin war es möglich, den Ort neu zu entdecken, Erinnerungsräume zu generieren und den alten Fotos die Funktion des Ausgangspunktes für Veränderung, für gelebtes Leben zu schenken. 



Nachtrag:

Und auch der Ort veränderte sich: 

Der Hafen wurde 1991 Tide unabhängig. Der Ortskern wurde überwiegend autofrei. Eine neue Zugangsstraße zum Ort geschaffen.


Text und Bilder © 2022 Hans Jürgen Groß


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