Wünsch Dir was! - oder: die Geschichte vom Bauer und dem Mondhasen
Es war einmal, weit fort von hier, ein Bauer, der große Not litt. Trotz neuster Düngemittel und technischem Gerät warf sein Tun kaum Gewinn ab. Stunde um Stunde widmete er sich seiner Profession und sann nach Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Doch je mehr er unternahm, je mehr er den Empfehlungen der Experten folgte, so auswegloser wurde seine wirtschaftliche Lage. Als gar noch seine Frau ihn mit den Kindern verließ, verlor er jeglichen Mut. Ein Fluch schien auf seinem Leben zu liegen.
„Ich bin gekommen, um dir zu helfen“, sagte der Hase. „Folge mir, und ich werde dich zu der Hüterin der Menschheitswünsche führen“. Ehe er sich versah, stand der Bauer vor einem prächtigen Tor. Über diesem stand in silbernen Buchstaben geschrieben: „Jeder Wunsch wird Wirklichkeit“. „Schön, dachte der Bauer. Mein armseliges Leben hat nun endlich ein Ende“. Erwartungsvoll schritt er durch das Tor.
Eine weißhaarige, alte Frau, in einem silbernen Gewand empfing den Bauern mit den Worten: „Was immer du dir wünschst, wird sich dir erfüllen. Aber wähle gut, denn alles, was du gewinnst, fordert auch seinen Preis“.
Die alte Frau führte den Bauern durch ein Labyrinth von Räumen, einer schöner als der andere gestaltet. „Hier, sprach die Weise, siehst du das Schwert des Ruhmes. Wer sich das wünscht, wird ein gewaltiger Feldherr. Er eilt von Sieg zu Sieg und sein Name wird auch noch in den fernsten Zeiten genannt. Willst du das?“ „Nicht schlecht, dachte sich der Bauer; Ruhm ist eine schöne Sache und ich möchte zu gerne die Gesichter der Leute im Dorf sehen, wenn ich General werden würde. Aber vielleicht gibt es noch etwas Besseres zu wünschen.“ Also sagte er, „Gehen wir erst einmal weiter.“ - „Gut, gehen wir weiter“, sprach die Weise lächelnd.
Im nächsten Saal zeigte sie dem Bauern das Buch der Weisheit. „Wer sich dieses wünscht, dem werden alle Geheimnisse des Himmels und der Erde offenbart.“ Der Bauer dachte, „ich habe mir schon immer gewünscht, viel zu wissen. Das wäre vielleicht das Richtige für mich, aber wenn ich mich vorschnell festlege, versäume ich vielleicht eine bessere Möglichkeit.“ „Ich will es mir noch einmal überlegen“, entgegnete er deshalb.
Im angrenzenden Saal befand sich ein Schrein aus purem Gold. „Das ist die Truhe des Reichtums. Wer sich die wünscht, dem fliegt das Gold zu, ohne hierfür etwas zu tun.“ – „Oh, dachte der Bauer, das wird wohl das Richtige sein. Wer reich ist, der ist der glücklichste Mensch der Welt.“ Jedoch bemerkte er für sich, dass Glück und Reichtum zwei verschiedene Dinge sind, und er geriet ins Zweifeln. „Ich weiß nicht recht“, sagte er. „Gehen wir weiter“.
Und so ging der Bauer von Saal zu Saal, ohne sich für etwas entscheiden zu können. Als er den letzten Saal gesehen hatten, sagte die alte Frau zu dem Bauern: „Nun wähle. Was immer du dir wünschst, wird erfüllt werden“. „Du musst mir noch ein wenig Zeit lassen, ich muss mir die Sache noch etwas überlegen“, sprach der Bauer. - „Soll ich den Ruhm, die Weisheit, oder den Reichtum wählen? Oder, gar die Macht, die Gesundheit, die Unsterblichkeit?“, fragte er sich insgeheim. Der Bauer fühlte sich von allem angezogen und konnte sich nicht entscheiden. „Ach wie schön wäre es, wenn mir die Alte einfach sagen würde, was mir am besten gereicht.“ - In demselben Augenblick, wie sich dieser Gedanke in ihm formte, schloss sich das Tor und die Weise war verschwunden.
Der Bauer fand sich am Ausgangspunkt des Traumes wieder. Der Mondhase saß vor ihm und sprach: „Armer Bauer, wie du, sind die meisten Menschen. Sie wissen nicht, was sie sich wirklich wünschen sollen. Sie wünschen sich alles und bekommen nichts. Was immer sich einer wünscht, das schenken ihm die Götter – aber der Mensch muss wissen, was er will.“
Etwas war anders an diesem Morgen. Die Sonne stieg wie gewohnt rot leuchtend im Osten auf. Er hatte tief und fest geschlafen. Er wusste, er hatte geträumt, doch er konnte sich nicht hieran erinnern. Gleichzeitig nahm er in seinem Inneren eine kraftvolle Klarheit wahr, die in ihm aufstieg. Er wusste nun, was es für ihn zu tun galt.
Textbearbeitung und Foto © 2022 - Hans Jürgen Groß
* Der Mondhase, ist ein in der japanischen, koreanischen und chinesischen Mythologie existierendes Wesen.