das Olympiazentrum in Kiel Schilksee - oder die Macht der Erinnerung
Mein diesjähriger Frühsommer Urlaub führte mich in die Region der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel. Bis kurz vor Urlaubsbeginn war unklar, ob ich diese Reise, aufgrund der „Corona“ bedingten Beschränkungen antreten durfte. Erst ab dem 17. Mai war klar, dass in Schleswig-Holstein, unter Auflagen, ein Urlaub wieder war. Bei meiner Anreise, am 30. Mai musste ein Negativtest vorgelegt werden, der vor Ort alle 72 Stunden erneuert werden musste. - Dafür wurde ich mit schönem Wetter und viel Ablenkung von dem omnipräsenten Thema beschenkt.
Auf der Agenda der zu besuchenden Orte stand auch das Olympiazentrum in Schilksee, welches ich aus meiner Kindheit kannte.
Das Olympiazentrum in Kiel-Schilksee war Austragungsort der Segelwettkämpfe während der Olympischen Sommerspiele im Jahr 1972 in München. Daran erinnert noch heute die Brennvorrichtung des olympischen Feuers auf der Aussichtsplattform der Hafenmeisterei. Für Kiel waren es, nach 1936, bereits die zweiten Olympischen Spiele.
Die Eröffnung der olympischen Wettkämpfe in Schilksee, fand am 28. August 1972 statt.
Die architektonische Idee für das Erscheinungsbild des Olympiazentrums wurde aus der Formation der Landschaft abgeleitet. Ausläufer der Steilküste ragen zungenförmig in das in der Niederung liegende Baugelände hinein. Die Entwurfsidee bestand darin, die Steilküste in Form eines Sockelbaukörpers gleichsam fortzusetzen.
Im Sockel des Gebäudekomplexes befinden sich alle dem Hafen zugeordneten Einrichtungen, z. B. Bootshallen und Regattaleitung, darauf die öffentlich zugänglichen Appartements und Läden, vor allem zu erwähnen aber eine Seepromenade als Aussichtsgalerie direkt am Hafen, ähnlich den Promenaden auf der Höhe der Deichkronen. Die Plan- und Bauzeit umfasste die Jahre 1968 - 1972.
Als Baumaterial überwogen, wie in den späten 1960er und 1970er Jahren üblich, Betonfertigteile, die mit ihrer grauen Farbe das Erscheinungsbild der neu entstandenen Landschaft prägen. Dies verbindet auch das Erscheinungsbild der Austragungsorte Kiel und München miteinander.
In München, dem Hauptaustragungsort der Spiele, drangen am frühen Morgen des 5. September acht arabische Terroristen ins Quartier der israelischen Mannschaft ein. Sie erschießen zwei Teammitglieder und nehmen neun weitere als Geiseln, um die Freilassung inhaftierter Palästinenser zu erpressen. In der darauffolgenden Nacht verlieren alle neun Geiseln ihr Leben, ebenso ein Münchner Polizist. 27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg finden auf deutschen Boden Menschen jüdischen Glaubens politisch motiviert den Tod. - Die Bilder dieses schrecklichen Ereignisses, über die die Medien der Welt berichteten, brannten sich in das Bewusstsein der Menschheit ein.
Die Segler in Kiel wussten zunächst nichts von den Ereignissen des 5. Septembers. Sie bereiteten sich auf den sechsten Wettkampftag vor. Auch als die Spiele um 15.38 Uhr offiziell unterbrochen wurden, befinden sich noch viele Segler ahnungslos auf dem Wasser. Am Morgen des 6. September, an dem das Ausmaß des Terrors gänzlich bekannt ist, versammeln sich Sportler und Kieler Bürger, um der Toten zu gedenken. Was zunächst als Schweigeminute gedacht war, gerät zu einer eigenen, schlichten Trauerfeier. Heute erinnert in Kiel-Schilksee nichts mehr an diese Tage des Terrors.
Als damals dreizehn Jahre alter Zeitzeuge erfahre ich in der Gegenwart, wie die Bilder dieser beiden olympischen Orte miteinander verwoben sind. Bei dem Besuch des Kieler Olympiazentrums werden die Münchner Bilder des Terrors vor meinem inneren Auge wieder präsent.
In Anlehnung an diese innere Rückschau habe ich die Fotoserie des Olympiazentrums Schilksee in Schwarz-Weiß gehalten. Diese fotografische Ausdrucksform hebt auch den Charakter dieses Betonkomplexes besonders hervor.
Von der Macht der Erinnerung, der düsteren Bilder der Vergangenheit überrascht, frage ich mich, wie die heutige dunkle Zeit der Corona-Pandemie uns langfristig kollektiv berühren wird. Welche Bilder und Gefühle werden wohl bei den heutigen Kindern und Jugendlichen verankert. Welche Reize deren künftiges Erleben bestimmen, bzw. dafür sorgen, dass negative Gefühle und Bilder unvermittelt wieder in ihr Bewusstsein dringen? Auch wenn die hier beschriebenen Ereignisse nicht miteinander verglichen werden können, so zeigt sich doch, wie die Macht der Erinnerung uns Menschen bestimmt.
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