Altweibersommer
Kennt ihr das auch? Wir rasen durch die Zeit, mit riesengroßen Schritten. Alle Aufmerksamkeit liegt im Tun. Dann ein plötzliches Erwachen und man muss erkennen, dass man einen Teil des Tages verschlafen hat. Alle Zeichen, die an die vorgerückte Stunde erinnerten, gingen im Fluss des Alltäglichen unter.
Eine jede Zeit hat ihren eigenen Ausdruck, sagt uns mit leiser Stimme, an welchem Punkt in der Zeit wir angekommen sind.
Ein solches Phänomen, mit dem die Natur in ihrer Sprache zu uns spricht, sind die Spinnen, die damit beginnen, ihre Netze auszubreiten. Wahre Kunstwerke der Natur entstehen, die den Insekten zur Falle werden, in den Morgenstunden durch Tau und Nebel für unser Auge erstrahlen.
Diese Webkunst ist den Spinnen gemein. Nur wir Menschen haben es geschafft, es Ihnen gleichzutun, um mit Spinnrad und Webstuhl, Pflanzen in Kleidung zu verwandeln. Längst erledigen Maschinen diese Aufgabe, welche in der Vergangenheit jungen Mädchen und alten Frauen vorbehalten war.
An diese vergangenen Tage erinnert der Sprachgebrauch, diese letzten Sommertage, die in den Herbst hinein führen, als Altweibersommer zu bezeichnen.
Egal, welcher Wortdeutung wir für diesen Begriff folgen, alles weist auf die Spinnen und ihre Gebilde hin. Zum einen verweist der Begriff „Weiber“ auf das althochdeutsche „weiben“ für Weben; eine andere Deutung liegt darin, dass die gesponnenen Fäden an das weiße Haar von alten Frauen erinnern soll.
Einerlei, welche dieser Sprachdeutungen euch näher liegt, habt ein schönes letztes Sommerwochenende. Genießt die Zeit, ob in der Natur oder anderswo. Und wem es beliebt, der schaut sich einmal um, und sucht die Zeichen, die ihn umgeben und zu ihm sprechen.
© 2020 - Hans Jürgen Groß